Film Daten

Titel:
Eyes Wide Shut
Originaltitel:
Eyes Wide Shut
Land & Jahr:
USA 1999
Laufzeit ca.: ?
155 Min.
Regie:
Stanley Kubrick
Darsteller:
Tom Cruise
Nicole Kidman
Madison Eginton
Jackie Sawiris
Sydney Pollack
Leslie Lowe
Peter Benson
Todd Field
Michael Doven
Sky Dumont
Louise J. Taylor
Stewart Thorndike
Randall Paul
Julienne Davis
Lisa Leone
Weitere Infos:
IMDB  OFDB

Eyes Wide Shut

(Ein Kurzreview von Carsten Henkelmann)

Bill Hallford, ein in der Gesellschaft hoch angesehener Doktor, und seine Frau Alice führen ein glückliches Familienleben. Sie sind beide zu einer Weihnachtsfeier eingeladen, wo Bill dem Gastgeber aus einer mehr als delikaten Situation hilft, dabei einer Frau vor einer Überdosis bewahrt und seinen alten Schulfreund Nick Nightingale wiedertrifft. Nach der Feier haben die beiden einen kleinen Streit und Alice erzählt ihrem Mann, daß sie ihn beinahe im letzten Urlaub mit einem ihr völlig unbekannten Mann betrogen hätte. Bill, der bislang an seine Frau und ihre Treue zu ihm glaubte, stürzt dies in eine schwere psychische Krise. In der Zeit danach wird er von einem psychischen Extrem ins nächste geworfen. Die Witwe eines verstorbenen Patienten eröffnet ihm in ihrer Trauer, daß sie in ihn verliebt sei und bedrängt ihn geradezu. Er lernt ein Mädchen kennen und nur sein Gewissen hält ihn vom Sex mit ihr ab. Durch Nick Nightingale gerät er auf ein seltsames Treffen, bei dem alle Teilnehmer nur maskiert auftreten und wunderschöne Frauen herumlaufen. Er kommt gerade in dem Moment herein, wo eine Art okkultes Ritual zelebriert wird, bleibt aber von der Menge nicht unbemerkt. All diese Dinge steigern sich zu einem großen Strudel der an seinen Nerven zehrt und sein Weltbild gerät völlig aus den Fugen...

Die Leute, die den Film noch nicht gesehen haben, sollten erst mal alles vergessen, was man vorher an Gerüchten darüber gehört hat. Hier gibt es keine Softcore-Szenen mit Tom Cruise und Nicole Kidman oder ähnliches. Es dreht sich zwar vieles um Sexualität und Dekadenz, jedoch funktioniert das alles auf einer ganz anderen Ebene. Es geht mehr darum, was sich hinter der Fassade einer wohlhabenden und scheinbar makellosen Oberfläche verbergen kann und zu was Leute fähig sind, wenn erstmal ein entsprechender Einsatz im Spiel ist. So z. B. der Kostümverleiher. Als Bill gerade bei ihm ist und die Verkleidung für die Versammlung aussucht, erwischt der Verleiher seine noch minderjährige Tochter in flagranti mit zwei Chinesen und will, nachdem Bill aus dem Laden verschwunden ist, die Polizei rufen. Am nächsten Tag, als Bill das Kostüm zurückbringt, verlassen die beiden Chinesen gerade mit größter Freundlichkeit seitens des Verleihers das Geschäft. Die beiden müßen ihm viel Geld geboten haben, denn der Verleiher schreckt jetzt auch nicht davor zurück, indirekt Bill deutlich zu machen, das ihm seine Tochter zur Verfügung stände, wenn er wollte. Auch bemerkt man während der Versammlung, daß Bill als Einziger eine recht schöne Maske trägt, im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern, deren Masken größtenteils Fratzen und deformierte Gesichter darstellen.

Mir erging es während des Kinobesuchs so, daß ich während der ersten halben Stunde die Befürchtung hatte, das der Film fürchterlich langweilig wird. Aber im Laufe der Zeit nimmt einen die Geschichte immer mehr in ihren Bann, bis man irgendwann völlig konzentriert und gespannt auf die Geschehnisse auf der Leinwand achtet. Kubrick gelang mit seinem letzten Film ein unheimlich spannender Thriller, der mit keinem mir bekannten Film zu vergleichen wäre. Eigentlich muß man sich den Film mehrmals anschauen, um all die kleinen Details zu erfassen. Als Vorlage diente ihm die "Traumnovelle" von Arthur Schnitzler, aber da ich das Buch nicht kenne, kann ich auch nicht sagen, inwiefern der Film mit dem Buch übereinstimmt.

Autor: Carsten Henkelmann
Film online seit: 16.11.1999

Leser-Kommentare

19.10.2006, 13:23:43 Tonga Wabonga ( Email schreiben )

Nach Aussage (ich glaube) Tom Cruises (Kubrick selbst zitierend) in der Dokumentation "Stanley Kubrick - A Life in Pictures" (Bonus-DVD im größeren der beiden in Deutschland erhältlichen Kubrick-Boxsets) ein Film darüber, "...wie man eine Beziehung am Laufen hält." Das brachte für mich das Anliegen des Films auf den Punkt. Lebendige, sich entwickelnde Beziehungen sind nie Endzustände sondern immer Aushandlungsprozesse und deswegen, wenn´s gelingt, stets großes zwischenmenschliches Tennis. Brabra. Vor diesem Hintergrund läuft´s mir nochmal extra kalt den Rücken runter, wenn ich mir klarmache, daß die Dreharbeiten zu "Eyes..." sich zeitlich mit Cruises und Kidmans Trennung überschnitten. Das nenne ich mal "professionell".

08.06.2005, 17:07:33 Dietmar Kesten ( Email schreiben )

EYES WIDE SHUT

VON DINGEN REDEN, DIE VERSCHWIEGEN WERDEN

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 3. JANUAR 2005.

Stanley KUBRICK hat seine kulturellen (Selbst-)Bilder nicht aufgegeben. Obwohl sie schon lange durch den Codes der modernen Ware und das abrufbare Wissen ersetzt wurden, zeigt er Verrat, Verräter und Hintermänner als falsche Schlange, die im Kino zwischen Moden, Models, Machern, Lifestyle und (geteilten) kapitalistischen Helden ihr tristes Dasein fristen. Die ganze kapitalistische Warenwelt scheint bei ihm brach zu liegen. Er lässt sie als Wickelkind zurück. Und ersetzt sie durch thesenhafte und symbolische Erzählungen, die die Verwandlung des Körpers in den Blick, in eine 'sehende Sprache' verdeutlichen. ?Der Körper bin ich. Niemals werdet ihr mich verstehen? (KOWALSKI, 1982), dröhnt wie ein Selbstgespräch und lässt jeden Dialog zur Verständigung weit hinter sich. Selbst das Ausmaß der wechselseitigen Verachtung hat jene Phase erreicht, wo Kommunikation, Wahrnehmung, Wünsche und Begehren schlichtweg zerfallen. Die barbarische Intimität, sollte man diese Formulierung als Kennzeichnung der modernen Sprechweise der Menschen benutzen, könnte bedeuten, dass die Bilder in dieser Welt, die aus einem Fegefeuer von Zweideutigkeiten und Konfusion bestehen, alles oder das Nichts bedeuten. Liebe erscheint hier als Tod und Treue als Verrat. Insgesamt scheint die kapitalistische Warenwelt selbst über die innigsten Gefühle die Kontrolle übernommen zu haben.

Sollte man KUBRICK hier hineinstellen, dann fällt auf, dass er Lektionen erteilt, die den Versuch unternehmen, der Bildsprache die alte Wirkungskraft wieder zu verleihen. Nun ist er kein Unbekannter. Sein Filmwerk ist bedeutend. Vor allem in ?Wege zum Ruhm? (1957), ?Lolita?, 1961 ?Uhrwerk Orange? (1970/71), ?Full Metal Jacket? (1987) zeigte er klar, dass er die Hoffnungen auf Veränderungen des Menschen und der Gesellschaft nie aufgegeben hat, auch wenn sie unter dem Blickwinkel von Globalisierung und Modernität mehr und mehr antiquiert erscheint. Seine filmische Schau der verinnerlichten Brutalität kommt am besten in seinen grandiosen Werken ?Shining? (1980) und ?Full Metal Jacket? zum Ausdruck.

Der Meister, der für das Ende der filmischen Moderne steht, für die Selbstverwirklichung, zeigt in seinem Meisterwerk ?Eyes Wide Shut?, welcher Zusammenhang zwischen Körper und Blick besteht. Mehr noch: er zeigt etwas von dem Verhältnis von Körper und Blick. Der Alltag einer New -Yorker Upperclass Family ist der in Szene gesetzte Blick in die tiefe Seele von neurotischen Menschen, die sich in Erotik verlieren, nicht wieder aufstehen, verlogen, verstört, verlottert und gelangweilt sind. Und unter dieser Schicht liegt die alltägliche Entfremdung, weil die Blicke ebenso ins Leere gehen, wie die Worte, die an die Tochter gerichtet sind.

Die Eingangssequenz ruft schlaglichtartig diesen Fallout der Wahrnehmung hervor: Bill (Tom CRUISE) beugt sich über Alice (Nicole KIDMAN), um sie zu küssen. Die Versuche der Umarmung, die Blicke, die ins Leere gehen, signalisieren, dass beide süchtig sind, süchtig nach erotischen Abenteuern, süchtig nach Lust, nach der (sprachlosen) Zuwendung zu einem anderen Körper. KUBRICK verwandelt nun fortan den Körper zu einem Maskenball der Gefühle. Er zwingt Bill und Alice dazu, die Umkehrung des Leibes zu vollziehen. Die gestorbene Ehe soll durch die Erlösung des sich stetig verwandelnden und veränderten Blick rein gewaschen werden.

Bill steht vor einer geschlossenen Tür und begehrt Einlass. Er benötigt ein Passwort, muss sich maskieren und kostümieren, um sich gleichzeitig zu demaskieren. Nur dann eröffnet sich ihm die Welt der rituellen Körperreinwaschung, wo New Yorker Wohlstandsbürger ihren Körper eintauschen, betrügen und betrogen werden möchten, und wo der Tauschwert hier tatsächlich seinen Namen verdient. Man tauscht den Körper symbolisch gegen die Vergesellschaftung des Menschen ein. Der Körper wird wie Möbelkataloge oder Postwurfsendungen veräußert.

?Eyes Wide Shut? handelt von der Sucht, Einblicke in die intime Welt eines anderen Menschen zu nehmen. Der Blick in die Anonymität der Sexualität, die Ablösung des Blicks weg vom Angesicht der Person und hin zur Wahrnehmung des Anderen. Bill und Alice lassen erahnen, dass die wahren Wünsche der Befriedigung tiefer liegen als man annehmen könnte. Der sehnsuchtsvolle Blick beider ist gleichzeitig Obsession und Fantasie, die ausgemalt den Liebenden ihr erotischen Wünsche erfüllen mag. Hier sind die Blicke die verbotenen Einblicke ins das Land der Träume, wo der Kunde wie in einer Peepshow auf die nächste Dame wartet, die ihn auffordert, an sich selbst sexuelle Handlungen vorzunehmen.

Der Film, der Arthur SCHNITZLERs ?Traumnovelle? zur Grundlage hat, lässt ständig die Grenze zwischen der realen und der imaginären Welt verschwimmen. Und obwohl er eigentlich im Niemandsland der Gefühle spielt, gibt es doch eine Grenze. Die Grenze ist die Umkehrung des Körpers; denn die Helden, die später von ihren 'Sünden' geheilt erscheinen, werden von der Selbstzerstörung getrieben, und die zudem den Pornografischen und den Orgienhaften Seitenblick wagen. Gesichtslos sind die Körper, die uns begegnen. Man trägt Masken. Frauen, die unverhüllt ihre Reize zeigen, werden ständig von Männern, denen ihre Odyssee buchstäblich ins Gesicht geschrieben steht, abgelöst. Die Masken, die man sich hier aufsetzt, sind die Masken, die uns umgeben, die in uns wirken und möglicherweise von uns Besitz ergreifen. Die Maske ist als Symbol der Fremdheit der Liebe zu verstehen, die Bill und Alice durchzieht. Man (er-)trägt sie nicht. Als Liebender bleiben beide Einzelgänger. Sie können sich nicht ergründen. Denn sie selbst tragen ja Masken, vertraute, schöne und undurchdringliche.

Niemand kann die Achtlosigkeit der Liebe ertragen. Selbst in den erotischsten Fantasien nicht. Nur die Wahrheit über die Liebe kann beflügelnd wirken. Dort werden die Panzer aufgerissen, die Masken der Verlogenheit durchschnitten. Das Wahre kommt erst dann ans Licht, wenn der Körper aus dem exhibitionistischen Nachlass verschwindet, wenn er sich in die bebilderte Sprache der Liebe verwandelt und damit in ein Stück Natur. In einem Spielzeugladen zum Ende des Films nehmen die Bilder wieder Kontakt zum Weltrest auf. Das Begehren tritt hervor, das Verlangen nach Liebe. Das berühmte Four-Letter-Word wirkt nun in der Sprache lebendig, so dass einem Hören und Sehen vergeht.

Fazit:

Hinter dem Schleier der falschen Vertrautheit taucht hier die entfremdete Welt der Liebenden auf. Die Sprache der Gesichter verrät mehr von der verschütteten Spur der Verzweifelten als es jeder alltägliche Blick kann. Nehmen sich Liebende als Personen wahr, nehmen sie sich an und anerkennen sie sich, dann sind ihnen in ihrer Liebe keine Grenzen gesetzt. Dann fangen sie an, die Spuren ihrer Lebendigkeit zu finden und sogar die entrückte und alternde Schönheit ihrer Körper wahrzunehmen. Kubrick löscht das Licht im Kino, damit seine Bilder besser zu sehen sind.

© 1998 - 2024: Sense of View / Carsten Henkelmann