• | Todesschlaf |
(Ein Kurzreview von Carsten Henkelmann)
Jonas Engström (Stellan Skarsgard) ist ein schwedischer Polizeiinspektor, der nach Norwegen geschickt wird, um dort den Mord an Tanja Lorentzen (Maria Mathiesen) zu untersuchen. Der Mörder ist mit äußerster Sorgfalt vorgegangen und hinterließ nicht den kleinsten Anhaltspunkt auf seine Person. Unterstützt wird er von Erik Vik (Sverre Anker Ousdal) und Hilde Hagen (Gisken Armand). Sie haben als erstes den Freund es Mädchens in Verdacht. Durch die Nachrichten lassen sie eine falsche Meldung durchgeben, daß sie nach einem bestimmten Rucksack suchen, der dem Mädchen gehört hat. Am Tatort des Mordes, ein Bootshaus, legen sie sich auf die Lauer. Dort haben sie einen Rucksack plaziert, um den Täter damit anzulocken. Der kommt auch und will sich den Rucksack holen, wird aber durch einen Fehler auf die Polizisten aufmerksam. Bei der anschließenden Verfolgung durch die nebelverhangende Küste erschießt Jonas versehentlich seinen Kollegen Erik. In der Öffentlichkeit vertuscht er aber die Tat als Handlung des Mörders, der immer noch auf der Flucht ist. Seine Kollegin Hilde wird der Fall zugewiesen. Jonas tut nun alles um sämtliche Hinweise auf seine Person zu verwischen und tauscht dafür sogar Beweismaterial aus. Er verliert langsam die Kontrolle über sein Leben und seine Arbeit...
Insomnia ist ein Psychothriller, der viel Wert auf seine Charaktere legt. Engström ist ein Mann, der schon viel erlebt und mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen hat. So beginnt er, als er Froya im Auto mitnimmt, sie zu streicheln und wird dabei schon fast intim. Ein Kollege erzählte vorher gegenüber Kollegen, daß Engström in Schweden schon einmal zusammen mit einer Zeugin in einer intimen Situation erwischt wurde. Zu einer normalen Beziehung ist er nicht mehr fähig. Zwar baut sich zwischen ihm und Ane, der Frau hinter der Rezeption in dem Hotel in dem er schläft, eine leichte freundschaftliche Beziehung auf, die er aber durch seinen sexuellen Hunger völlig kaputt macht.
Durch die Mittsommertage in nördlichen Teil Norwegens, in denen es fast nie dunkel wird, hat er massive Probleme einzuschlafen. Das belastet ihn zusätzlich. Außerdem hat er es sehr schwer sich bei manchen Leuten verständlich zu machen, da er stets Schwedisch spricht, was nicht jeder auf Anhieb versteht, obwohl es ähnlich ist.
Der Film entwickelt seine Geschichte sehr langsam. Manchmal zu langsam wie ich finde, denn der Film hat ein paar Längen. Allerdings gibt es auch recht gelungene Szenen, wie z.B. die Verfolgung in der nebelverhangenen Hügellandschaft Norwegens. Die meisten Szenen wirken sehr unterkühlt, was zwar der Charakterentwicklung zugute kommt, den Zuschauer aber dabei schon fast abblockt.
Im deutschen Fernsehen lief der Film mal unter dem Titel Der Todesschlaf. Auf DVD gibt es ihn bislang aus den USA von Criterion mit einer recht guten Bildqualität. Hauptdarsteller Stellan Skargard hat mittlerweile eine kleine Hollywood-Karriere eingeschlagen und hat in Ronin sowie Deep Blue Sea mitgespielt.
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18.03.2007, 12:44:59 Dietmar Kesten
INSOMNIA
SCHLAFLOS MIT INSOMNIA
von DIETMAR KESTEN, GELSENKRICHEN, 22. OKTOBER 2006.
Die Stimmung in „Insomnia“ (Regie: Christopher Nolan, 2002) gleicht einem Trance-Zustand. Die Welt bleibt für einen Augenblick stehen, um im gleichen Moment zu kollabieren. Zuletzt entsteht eine neue Erfahrung, eine neue Gegenwart, deren Ergebnis ein Schlafzustand ist. Die Bilder bleiben zerstückelt und kehren nur stückweise an die Oberfläche zurück. Der Film springt. Details in Übergröße, rissig, spröde. Und doch klar. Erinnerungen im Zeitraffer, Botschaften aus der Traumphase. Das Unterbewusste, die raffinierte Umcodierung des Denkens, nimmt Besitz: Blut auf weißem Stoff. Das Auto dreht sich im Kreis, Regentropfen, der Scheibenwischer kratzt den Regen von der Scheibe. Der Fahrer scheint eingenickt zu sein. Die Überdosis der Schlaflosigkeit zeigt ihre Wirkung. Dormer ist am Steuer seines Autos eingeschlafen.
Ein genialer Stoff, den Christopher Nolan vorgelegt hat. Er will nicht mehr, nicht mehr zuhören, nicht mehr denken, nicht mehr atmen. Nur noch schlafen. Der Körper erholt sich nicht mehr. Detektiv Will Dormer (Al Pacino) ist nur ein Wimpernschlag vom Mord an einer 17jährigen Schülerin entfernt, ein paar Schritte trennen ihn vom Mörder. Doch dann macht Dormer einen tödlichen Fehler. Auf der Jagd nach dem Mörder erschießt er im Nebel einen Kollegen. Und verwischt die Spuren. Nur der Täter weiß davon. Nun beginnt die Jagd. Der Mörder jagt Dormer, Dormer jagt den Mörder. 6 Tage und 6 Nächte ohne Schlaf. Das hält niemand aus. Es wird nie dunkel dort oben in der Mitternachtssonne von Alaska.
Walter Finch (Robin Williams) ist der Gegenspieler von Dormer, ein Psychopath, ein Neurotiker, den zunächst niemand durchschaut, der Autor von Kriminalromanen, den man kennt, und von dem man annimmt, dass er nicht der Täter ist. Und doch ändert sich alles schlagartig. Finch entkommt Dormer; denn er scheint ihn enttarnt zu haben. Ab jetzt ist der vormals ungleiche Kampf einer, der zwei Feinde hat: einer ist der Schlaf von Dormer, der andere ist Finch, ein absolut gleichwertiger Gegner, den Dormer immer wieder unterschätzt. Die Gefahr, dass er das Spiel verliert, besteht bis zur letzten Einstellung. Wenn die Kugeln dann getroffen haben, kann Dormer endlich schlafen.
„Insomnia“, ein Film mit Robin Williams und Al Paciono, der nie in der Gefahr steht, dass zwei Ertrinkende das rettende Ufer verpassen. Die Nähe der beiden ist immer gegenwärtig, und auch die Schicksale dieser Figuren laufen nicht eisern geradeaus, sondern vor und zurück wie Ebbe und Flut. Und über all dem wölbt sich die Kamera. Und hält auf die Protagonisten zu, auf die Gesichter von Finch und Dormer. Der eine ist hellwach, der andere schläft fast im Stehen ein. Beide sind auf der Flucht. Aber wovor eigentlich? Vor der Verwandlung! Dormer kämpft im Hotelzimmer mit seinem Schlaf. Die Jalousie des Zimmers will nicht dich werden. Dormer dichtet mit Klebeband die Ritzen ab. Trotzdem scheint die Sonne unentwegt. Im Lichte dieser „Aufklärung“ wird sein männlicher Blick demontiert. Dormers Augen werden noch größer, die Wangen fallen ein, die Abwesenheit wird zum starren Blick, sein Gesichtsausdruck wirkt zerklüftet.
Zuletzt wird aus dieser offensichtlichen Schwäche ein scheinbarer Triumph. Dormer stellt den Mörder nach einer Schießerei. Für einen Augenblick ist er hellwach. Das Gesicht ist voller Bewegung, er wirkt nicht mehr abwesend, sondern voll konzentriert. Er weiß nun, wohin die Reise geht. Er hat alles gesehen, alle Fehler gemacht. Und er hat gelernt, dass sie alles zerstören können. Mit dieser Gewissheit liegt Dormer auf einem Steg. Ein Denkmal stürzt um. Dormer durchlebt seinen furchtbarsten Augenblick. So fing es an, so hört es auf. Ein Flu(ch)g und ein Fall. Die Bilder machen sich gut gegen den Strom der Zeit. Der Traum hat den Raum durch die Zeit durchquert, die Orte und die Landschaft. Aber zuletzt lösen sie sich in einem Wimpernschlag auf. Wie ein Traumbild beim Erwachen.