Film Daten

Titel:
Eyes Without a Face
Originaltitel:
Yeux sans visage, Les
Land & Jahr:
Frankreich / Italien 1960
Laufzeit ca.: ?
90 Min.
Regie:
Georges Franju
Darsteller:
Pierre Brasseur
Edith Scob
Alida Valli
François Guérin
Alexandre Rignault
Béatrice Altariba
Juliette Mayniel
Charles Blavette
Claude Brasseur
Michel Etcheverry
Yvette Etiévant
René Génin
Lucien Hubert
Marcel Pérès
Alternativtitel:
• Augen ohne Gesicht
• Schreckenshaus des Dr. Rasanoff, Das
• Horror Chamber of Dr. Faustus, The
• House of Dr. Rasanoff
• Occhi senza volto
Weitere Infos:
IMDB  OFDB

DVD Daten

DVD Cover - Criterion
Label:
Criterion
Regionalcode / Norm:
1 / NTSC
Bild / Zeit:
1.66:1 (anamorph) / 89:47
Sprachen/Ton:
Französisch - DD 1.0
Untertitel:
Englisch
Extras:
  • Dokumentation "Blood of the Beasts" von 1949
  • "Franju on Blood of the Beasts"
  • "Le Fantastique"
  • "Boileau-Narcejac"
  • Bildergalerie
  • 2 Trailer
  • Booklet mit zwei Essays

Eyes Without a Face

(Ein Review von Carsten Henkelmann)

In einem Fluß wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Das Besondere daran ist, dass es so aussieht, als ob ihr Gesicht vollständig fehlt. Der Arzt Dr. Génessier (Pierre Brasseur) identifiziert die Leiche als seine, schon seit Tagen vermißte Tochter. In Wirklichkeit aber, lebt seine Tochter Christiane (Edith Scob) noch, nur ist ihr Gesicht seit einem Unfall fürchterlich entstellt und mit einer Transplantation des Gesichtes einer anderen Frau versucht Génessier das Aussehen seiner Tochter wieder herzustellen. Leider war dies bisher nicht von Erfolg gekrönt, Christiane muss immer mit einer Maske umherwandern und darf auch keinen Kontakt nach außen haben. Als Génessier eine weitere Frau entführen läßt und operiert, scheint Christiane endlich wieder ein normales Leben führen zu dürfen. Aber mit der Zeit verstößt ihr Organismus das Gewebe und die Polizei kommt langsam auch auf die Spuren des Doktors...

Eyes Without a Face - ScreenshotEyes Without a Face - Screenshot

Wenn in einem Film deutlich sichtbar das Gesicht einer Frau wie eine Obstschale abgepellt wird, ist dies selbst in schwarz-weiß Bildern noch ein Anblick, der den Zuschauer schwer schlucken läßt. Wer jetzt aber allerdings vermutet, dass hier ein bisher untergegangener Film aus dem Splatter-Genre besprochen wird, sieht sich getäuscht. Den Begriff "Splatter" in Verbindung mit dem 1960 entstandenen Les Yeux sans visage, Eyes without a Face im Englischen oder Augen ohne Gesicht im Deutschen, zu bringen, dürfte einer frevelhaften Beleidigung gleichkommen. Der Film ist ein in düsteren schwarz-weiß-Bildern eingetauchtes und melancholisches Drama über eine junge Frau, die ein schreckliches Schicksal erfahren hat und langsam droht daran zu zerbrechen.

Ihr sie über alles liebende Vater inszeniert ihren scheinbaren Tod und identifiziert eine andere Frau als seine Tochter. Die Frau war aber in Wirklichkeit das letzte seiner Opfer, bei der er versuchte das Gesicht zu entfernen, was aber nicht gelang. Er nimmt den Tod anderer Menschen leichtfertig in Kauf, um seiner Tochter wieder ein normales Leben ermöglichen zu können. Eine ähnliche Operation hat er bereits bei Louise (Alida Valli) erfolgreich durchführen können, die ihm seitdem verehrungswürdig als seine Assistentin zur Seite steht. Sie sorgt nicht nur für Nachschub an weiteren Mädchen, sondern kümmert sich auch um Christiane. Dr. Génessier ist dabei aber nicht unbedingt ein durch und durch böser Mensch, im Gegenteil. Ihm liegt alles an dem Wohl seiner Tochter und als Chefarzt einer Klinik kümmert er sich aufmerksam um seine Patienten. Anmerkung am Rande: eine Szene, in der er sich besonders um einen kleinen Jungen kümmert, wurde aus manchen Fassungen herausgeschnitten, weil befürchtet wurde, dass die Zuschauer es nicht akzeptieren würden, dass er auch eine menschliche und sanfte Seite besitzt!

Eyes Without a Face - ScreenshotEyes Without a Face - Screenshot

Christiane hat alles andere als ein leichtes Leben. Durch den Autounfall ist ihr Gesicht vollständig entstellt. Sie trägt meistens eine Maske, die ihr Gesicht zu einem glatten und emotionslosen Abbild eines hübschen Frau werden läßt. Dem Talent von Edith Scob ist es allerdings zu verdanken, dass unter der Maske trotzdem die ganze Tragik dieser Person deutlich zum Vorschein kommt, ihr Schauspiel besitzt Elemente von überzeugender Pantomime. Sie sehnt sich nach einem normalen Leben, versucht sogar verbotenerweise ihren Verlobten anzurufen, weil sie menschliche Wärme braucht, die sie von ihrem Vater und Louise nicht bekommen kann. Obwohl sie sich im Haus frei bewegen kann, ist sie eine Gefangene ihres Vaters, aber auch ihres Zustands, denn jeder Außenstehende, der ihr wahres Gesicht sieht, reagiert mit Schrecken. Als Zuschauer sieht man ihr zerstörtes Gesicht aber fast nie. Regisseur Georges Franju spielt geschickt mit der Erwartungshaltung des Zuschauers. Den einzigen kurzen Eindruck von Christianes Gesicht bekommt man, als man es durch den benebelten Blick eines betäubten Opfers sieht. Das Bild ist verschwommen, unscharf, aber es reicht aus um sich vorzustellen, welch schreckliches Schicksal Christiane erlitten haben muss. Bei der Transplantation des Gesichtes geht Franju dann genau den entgegengesetzten Weg. In der Erwartung, dass die Szenerie weggeblendet wird, bevor das komplett freigelegte Gesicht sichtbar wird, tut Franju dies eben nicht, sondern gewährt für eine Sekunde einen freien Blick auf das offengelegte Gesicht und blendet erst dann weg.

Diese kleinen Schockszenen stellen aber nur einen minimalen Bruchteil des Gesamtkunstwerkes dar. Eyes without a Face ist ein Film, in dem eine gewisse dunkle Poesie innewohnt. Dies wird vor allem durch die ruhige Erzählweise unterstützt, die langsam und ohne reißerische Elemente die Handlung wiedergibt. Als Zuschauer wird man langsam an das Schicksal Christianes herangeführt, die ein Leben in absoluter Isolation leben muss. Sie muss tragischerweise mit ansehen, wie ihr Vater und Louise neue Opfer bringen und sie ihr Leben lassen müssen, damit Christiane wieder ein normales führen kann. Allerdings widersteht ihr Organismus dem fremden Fleisch und stößt es nach einiger Zeit wieder ab. Das Finale ist dann von einer Düsterheit und Tragik bestimmt, dem aber trotzdem dank Edith Scobs Schauspiel eine düstere Schönheit innewohnt.

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Auch wenn der Film damals von den Kritikern eher verrissen wurde und lange Zeit drohte in der Versenkung zu verschwinden, so wird er doch seit einigen Jahren als ein Meisterwerk des Düsterkinos gehandelt und beeinflußte durchaus einige andere Filmemacher. Exploitationregisseur Jess Franco beschrieb in seinem fast zeitgleich entstandenen The Awful Dr. Orloff eine ähnliche Geschichte und drehte mit dem Jahrzehnte später entstandenen Faceless ein Remake seine eigenen Films. Auch hier ging es um die Tochter eines Arztes, deren Gesicht entstellt wird und er versucht mit Operationen dies wieder herzustellen. Franco war aber nicht durch Franju inspiriert gewesen, sondern eher durch die Romanvorlage von Jean Redon, auf die sich auch Franju stützt. Hollywood schuf dann mit Face/Off seine eigene Variante der Gesichtstransplantation, in dem ein Agent das Gesicht seines Erzfeindes aufgesetzt bekommt um an Informationen über seine geheimen Operationen zu gelangen.

Georges Franju wurde 1912 in der Normandie geboren und gründete mit seinem Kollegen Henri Langlois 1937 die "Cinémathèque Franciase", Frankreichs wichtigstes Filmarchiv. Davor hatten sie bereits 1934 den Filmclub "Le Cercle du Cinéma" aus der Taufe gehoben, wo sie unter anderem Filme wie Das Cabinett des Dr. Caligari zeigten. Zum Drehen eigener Filme kam er eher aus Zufall, als er die Schlachthäuser entdeckte, die er in seinem Film Les Sang des bêtes (Blood of the Beasts) schließlich vorstellte. Er drehte mit Pierre Brasseur 1959 La Tête contre les murs (Mit dem Kopf gegen die Wände / Ein Schrei gegen Mauern, als er durch Brasseur mit dem Produzenten Jules Borkon in Kontakt kam, der einen Horrorfilm mit Brasseur in der Hauptrolle haben wollte. Borkon legte ihm allerdings ein paar Bedingungen auf, die Franju aber geschickt umging. Es sollte nicht zuviel Gewalt drin vorkommen wegen der französischen Zensur, keine Tierquälerei wegen der Briten und kein verrückter Doktor, weil die Deutschen sowas nicht gerne haben. Alle drei Sachen kommen auf die eine oder andere Art im Film vor, allerdings verstand Franju es so geschickt zu inszenieren, dass es trotzdem niemanden störte.

Eyes Without a Face - ScreenshotEyes Without a Face - Screenshot

Das Drehbuch zu Eyes Without a Face wurde von Pierre Boileau und Thomas Narcejac geschrieben. Zu ihren weiteren bekanntesten Arbeiten gehören unter anderem das Drehbuch zu Les Diaboliques (Die Teuflischen) und Alfred Hitchcocks Vertigo (Vertigo - Aus dem Reich der Toten). Für Edith Scob war dies erst ihre zweite Rolle ihrer Schauspielkarriere. Ihr Debüt lieferte sie mit 21 Jahren in einer relativ kleinen und ohne einen Dialog versehenen Rolle in dem ebenfalls von Georges Franju inszenierten La Tête contre les murs (Mit dem Kopf gegen die Wände / Ein Schrei gegen Mauern) von 1959. Sie ist bis heute aktiv als Schauspielerin tätig und war unter anderem in Filmen wie Thérèse Desqueyroux (Die Tat der Therese D.), Judex, Luis Buñuels La Voie lactée (Die Milchstraße), Les Amants du Pont-Neuf (Die Liebenden von Pont-Neuf), Le Pacte des loups (Der Pakt der Wölfe) und Vidocq zu sehen. Alida Valli kennt der Eurohorrorfan aus Dario Argentos Inferno (Horror Infernal) und Suspiria oder dem Nunploitationfilm Suor Omicidi (Geständnis einer Nonne).

Eine vernünftige DVD für dies Meisterwerk war schon lange überfällig und erfreulicherweise ist es wieder das US-Label Criterion, dass sich dieses Kleinods angenommen hat. Schärfe und Kontrast sind exzellent, selbst feinere Details lassen sich immer noch erkennen und die wunderbare schwarz-weiß Fotografie von Eugen Schüfftan kommt richtig schön zur Geltung. Zwar gibt es immer wieder mal kleinste Defekte und Verschmutzungen zu sehen, aber das ist in Anbetracht der Gesamtqualität schon fast nicht mehr der Rede wert. Der französische Ton liegt in seinem original Monoformat vor, andere Sprachspuren gibt es nicht. Dazu gibt es aber optional hinzuschaltbare englische Untertitel.

Eyes Without a Face - ScreenshotEyes Without a Face - Screenshot

Das Bonusmaterial ist nicht gerade umfangreich, aber durchaus interessant ausgefallen. Bemerkenswert ist vor allem, dass Criterion es gelungen ist, die 1949 von Georges Franju gedrehte Dokumentation Les Sang des bêtes (Blood of the Beasts) zu ergattern. In diesem 22 Minuten langen Film verdeutlicht Franju, wie brutal die Arbeit in den damaligen Schlachthäusern von Paris war. Neben Pferden und Rindern werden auch Kälber und Schafe geschlachtet. Und obwohl Franju dies in einer ruhigen Art erzählt, wirken die Aufnahmen der täglichen Schlachter-Arbeit sehr brutal und abstoßend auf den Zuschauer. Es wäre nicht verwunderlich, wenn danach so mancher Zuschauer zum Vegetarier wird. Passend dazu gibt es mit "Franju on Blood" einen Ausschnitt aus der französischen TV-Serie Cinéma de notre temps, in der Franju seine Beweggründe für diese Dokumentation ausführt. Leider ist dieser Ausschnitt nur drei Minuten lang.

Das 5-minütige "Le Fantastique" ist ein eher seltsam anmutender Ausschnitt aus der französischen TV-Show Ciné-Parade, in der Georges Franju zu Gast war. Über der Amatur eines Mad-Scientist-Chemiebaukastens erzählt er dem Moderator seine Ansichten des phantastischen Kinos. Um die beiden Drehbuchautoren Pierre Boileau und Thomas Narcejac geht es in "Boileau-Narcejac", ein 7-minütiger Ausschnitt aus der Dokumentation Les Grand-pères du crime. Hier erklären sie, wie sie ihre Zusammenarbeit begonnen haben und was gerade dies ausmacht. Die "Medical Charts" ist eine Fotogalerie, in der auch einige eher selten gesehene Motive vorkommen, so z.B. eine Abbildung von Christianes entstelltem Gesicht. Bei den beiden Trailern handelt es sich zum einen um den original französischen Trailer, und zum anderen um den "The Horror Chamber of Dr. Faustus" Double-Feature Trailer, wie der Film damals 1962 in den USA hieß und zusammen mit The Master gezeigt wurde. Im Booklet wurden zudem noch zwei Essays von Patrick McGrath und David Kalat abgedruckt.

Quellennachweis

[1] Edith Scob Interview - Video Watchdog #107
[2] Georges Franju Interview - Video Watchdog #108

Autor: Carsten Henkelmann
Film online seit: 28.11.2004

Leser-Kommentare

14.06.2007, 18:21:58 immi666 ( Email schreiben Homepage )

ein tolles review! leider hatte ich bisher nicht
die gelegenheit, diesen scheinbar so schönen film
zu sehen, aber ein kumpel leiht mir gnädigerweise
seine criterion...
nach diesem review habe ich noch mehr luest auf diesen film, von dem ich bisher nur lesen durfte!!!

:-)

21.02.2005, 19:44:43 Lars ( Email schreiben )

Das schwermütige Sujet steht in krassen Gegensatz zur forschen Umsetzung, so erhaschen wir doch einen schockierenden Blick auf eines der Opfer, deren Gesichthaut zur Transplantation abgetrennt wurde. Trotzdem besticht AUGEN OHNE GESICHT durch eine wohltuend ruhige Erzählweise und sehr guten Schauspielern. Edith Scob als Christiane hat gar nicht so viele Szenen, aber vor allem, wenn ihre traurigen Augen aus der leblosen Maske aus Porzellan starren, hat man schmerzhaftes Mitleid mit der gequälten Seele.

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