• | Viva la muerte - Es lebe der Tod |
• | Long Live Death |
(Ein Review von Frank Meyer)
Spanien zur Zeit des Bürgerkriegs: Nachdem der Vater des kleinen Fando aufgrund seiner kommunistischen Überzeugung von Soldaten verschleppt wurde, lebt er mit Mutter, seiner Tante Klara und den Großeltern in einem von religiöser Symbolik, unterdrückter Sexualität und Angst vor dem faschistoiden Regime geprägten Alltag. Als er eines Tages einen Brief entdeckt, in dem seine Mutter zugibt, den Vater an die Militärs verraten zu haben, beginnt er sich gegen die Bigotterie in seiner Umwelt aufzulehnen.
In wahnhaften Phantasien und einer kaum weniger bizarren Realität zeichnet sich mehr und mehr eine bevorstehende Eskalation ab, die den Jungen physisch wie psychisch zu zerreißen droht...
Der Krieg ist vorbei. Die Verräter werden rücksichtslos gejagt. Wenn nötig werden wir das halbe Land töten. Viva la muerte - Es lebe der Tod!
Mit dieser Ansprache aus den Lautsprechern eines vorbeifahrenden Militärfahrzeugs beginnt Arrabals Abrechnung mit dem Spanien unter der Diktatur Francos und den Schrecken seiner eigenen Kindheit. Eine kleine Geschichtsstunde: 1936 übernehmen die Faschisten unter Franco die Herrschaft in Spanien und überziehen das Land zur Sicherung des Regimes mit Terror und Gewalt. Allein zwischen 1939 und 1943 werden so etwa eine Viertel Million politischer Gegner ermordet. Profiteure des brutalen Vorgehens gegen die Anhänger des sozialistischen Gedankens sind u.a Unternehmer, Großgrundbesitzer und nicht zuletzt die konservative Kirche.
Auch wenn, wie Arrabal mehrfach völlig richtig festgestellt hat, jedes künstlerische Schaffen auf die eine oder andere Weise autobiographisch beeinflusst ist, sind die Bezüge im Falle von Viva la muerte so überdeutlich, dass man nicht umhin kann, darauf genauer einzugehen bzw. zumindest explizit hinzuweisen. 1932 geboren wuchs er in der oben beschriebenen Zeit politischer Unruhe auf, und wie die Figur des Fando verliert Arrabal früh seinen Vater, der zunächst als Verräter ins Gefängnis gesperrt wird und schließlich 1942 nach einer mysteriösen Flucht spurlos verschwindet. Somit steht wohl außer Frage, dass es das Leben war, das die Rahmenhandlung von Viva la muerte schrieb.
Bevor wir jetzt aber zur eigentlichen Besprechung des Films kommen, wäre wohl die obligatorische Warnung angebracht, die für Arrabals Erstlingswerk genauso gilt wie für die Frühwerke von Bunuel, Jodorowsky und den meisten anderen Filmemachern, die das dünnbesiedelte Feld des surrealistischen Kinos beackern: Viva la muerte ist ganz bestimmt kein Unterhaltungsfilm, und dementsprechend sollte man als Zuschauer schon wissen, auf welche Art Kino man sich einlässt. Hier geht es ausschließlich um die suggestive Kraft der Bilder und die Aussagen, die sich hinter ihnen verbergen. Bei Arrabal ein politisches, sozio-kulturelles Manifest für die große Leinwand. Dass so etwas nur sehr bedingt für den entspannten Videoabend unter Freunden geeignet ist, versteht sich wohl von selbst.
Andererseits lässt sich das, was hier auf den ersten Blick noch wie eine episodenhafte Aneinanderreihung verschlüsselter Botschaften wirken mag, bei etwas genauerer Betrachtung doch relativ leicht entwirren und auf einige sich wiederholende Motivkreise reduzieren (unterdrückte Sexualität, der kommunistische Gedanke, Kirche und Militär). Abgesehen vom autobiographischen Hintergrund, um den man sicherlich wissen muss, um ihn identifizieren zu können, besteht der Film zumeist aus einfachen Parallelmontagen (Tante/Fledermaus, Nonne/Schwein, etc.) sowie formalen und inhaltlichen Gegenüberstellungen: Realität/Wahn, Reinigung/Schmutz, Freiheit/Gefangensein, Verehrung/Erniedrigung, Liebe/Hass. Hieraus ergibt sich ein im Grunde simpler dichotomer Aufbau, der mit Widersprüchen spielt und letztendlich auf die größte wie einfachste aller denkbaren Dichotomien hinausläuft: Leben und Tod - Viva la muerte!
Wann immer im Film sexuelle Untertöne zum Ausdruck kommen, werden sie durch Gewalt & Tod konterkariert. So bestraft Fando bspw. gleich zu Beginn die eigene aufkeimende Erregung mit selbstzugefügten Schmerzen, und auch als er seine Tante heimlich beobachtet, entlädt sich der Kampf mit der eigenen Lust, indem er der Eidechse, die er zuvor noch auf zweideutige Weise gestreichelt hat, den Kopf abbeißt. Ein weiteres Bespiel wäre die Hassliebe zwischen Vater und Mutter. Sie liebt ihn, aber liefert ihn an seine Peiniger aus. Sie liebkost seinen Körper, um sich im nächsten Moment über seinem Kopf zu erleichtern.
Es ist recht offensichtlich, dass Arrabal in Bezug auf Fandos unterdrückte Sexualität mit den klassischsten Freud'schen Konflikten in Form von Ödipuskomplex und Kastrationsangst spielt. Dies macht den Film natürlich einerseits aus tiefenpsychologischer Perspektive interessant, andererseits geschieht dies augenscheinlich zu kalkuliert, um hier von un(ter)bewussten Einflüssen zu sprechen. Nichtsdestotrotz darf man davon ausgehen, dass Freud an Viva la muerte seine Freude gehabt hätte!
Desweiteren laden die weitestgehend kategorialen Bezeichnungen der Figuren (die Mutter, der Vater) natürlich zu einer archetypischen Interpretation ein. So wurde die Mutter bspw. von Kritikerseiten oft auch als Versinnbildlichung der (katholischen) Kirche gedeutet. Eine solche Einschätzung stützt sich u.a. auf die Geburtsszene, in der sie quasi als fleischgewordene Marienfigur ein Kind (Fando) zur Welt bringt, und auch ihr Verhalten gegenüber dem sie abgöttisch verehrenden Sohn, das in seiner grausamen Konsequenz nichts mehr von den ursprünglich guten Absichten einer liebenden Mutter erkennen lässt, könnte man in gewisser Weise als Spiegel der sinnentstellten Auswüchse kirchlich organisierten Glaubens interpretieren.
Die Pfeife ist das unverkennbare Symbol des Vaters samt seiner politischen Gesinnung. Rauch(en), Feuer und Glut als Sinnbild für rotes Gedankengut. Aus Sicht ihrer politischen Gegner sind die Kommunisten Brandstifter im eigenen Volk. Als die älteren Jungen Fando jagen und in ihrem Hass gegen die Kommunisten drohen, ihm als Sohn eines Roten die Zähne einzuschlagen, so schafft die Lücke in seinem Mund lediglich Platz für die Pfeife seines Vaters. Und nachdem Fando sich in der Schule eine Zigarette angezündet hat, tritt er schließlich nicht nur symbolisch in die Fußstapfen seines Vaters, sondern legt ein Feuer. Umgekehrt wird die Brandstiftung wiederum postwendend den Kommunisten angelastet.
Dass Fandos Verherrlichung des Vaters offensichtlich vom religiösen Fanatismus seiner Mutter beeinflusst wird, zeigt sich in der Wochenschau-Szene im Kino. So erklärt er einen abgeschossenen kommunistischen Piloten, der in seinem Fallschirm vom Himmel segelt in kindlicher Naivität zum Engel und spielt die Situation später mit der Holzfigur seines Vaters nach - sehr zum Unwillen seiner Mutter. Sie versucht ihn in mindestens eben so naiver Art und Weise zu ihrem kleinen Heiligen zu erziehen, ihn zum Märtyrer zu machen, wie schön symbolhaft in der Traumsequenz zu sehen ist, in der sie dem mit einer Dornenkrone ausstaffierten Jungen eigenhändig mit einem Stift die Blutrinnsale auf die Stirn malt.
Der Großvater scheint hingegen in seinen politischen Überzeugung gar nicht so weit vom Vater entfernt zu sein. Denn als Fando in seinem selbstgebauten Holzpuppen-Theater die Hinrichtung des Vaters nachspielt, kommt er hinzu, gibt er der zuvor geköpften Vater-Figur den Kopf und die rote Fahne zurück und streicht Fando aufmunternd über die Schulter. Die Frage, warum es ihm gelingt, der Verfolgung durch das Regime zu entkommen, beantwortet Arrabal direkt im Anschluss: in einem bizarren Ritus beim Friseur wird ihm bzw. lässt er sich das "rote" Gedankengut aus dem Kopf saugen. Nachdem die Prozedur abgeschlossen ist, wird ihm sinnbildlich der rote Friseurumhang abgenommen.
Grundsätzlich übernimmt Arrabal ein kindliches Verständnis, indem er das vom Regime für die kommunistische Überzeugung gebrauchte Sinnbild der giftigen roten Gedanken und der bösartigen Krankheit im wortwörtlichen Sinn übernimmt. Wie stellt die Arzt lapidar in Fandos Fall fest? Die Atmosphäre vergiftet ihn. Er wird zur Kur auf ein Schiff geschickt, auf dem er eingehüllt in eine rote Decke und mit der Pfeife des Vaters sitzt. Offensichtlich ist keine Heilung in Sicht.
Während des Unterrichts verspeist ein Schüler eine Fliege, ein anderer zerteilt einen Käfer mit einer Rasierklinge - und nichts geschieht. Fando hingegen muss sich für ein Gedicht den Vorwurf gefallen lassen, es sei zu prosaisch und als er einen im Grunde harmlosen Witz macht, ist er derjenige, der bestraft wird - mit Blick auf das Kruzifix und im Namen des Herrn. Seine Großmutter bestraft ihn abermals für diesen blasphemischen Ausspruch, indem sie seine Hand verbrennt und ihn als Feigling beschimpft. Als Reaktion klettert Fando auf die Spitze eines Berges und uriniert von einem Leuchtturm auf die Stadt, um auf diese Weise in seiner Phantasie den Klerus in einer Flutwelle zu ertränken. Ein starkes Bild. Arrabals Kirchenkritik gipfelt schließlich in der phantasierten Kastration eines Priesters; ein Akt, den er wiederum von einer wilden Kindermeute durchführen läßt, die schon zuvor als Symbol für die unschuldig-ehrliche Anklage gegen das Militär eine Rolle gespielt hat.
Eines der gelungensten Bilder der Sinnverklärung und perversen Umkehrung kirchlicher Werte ganz im Sinne des Titels Viva la muerte liefert Arrabal in der Friedhofszene. Die ohnehin den ganzen Film in schwarze Trauergewänder gekleideten Frauen gehen nicht etwa zum Friedhof, um die Verstorbenen zu ehren, sondern um einer militärischen Erschießung beizuwohnen und anschließend auf die Toten zu spucken.
Eben jene Verquicking zwischen Kirche und Militär ist dann auch ein weiteres zentrales Thema des Films, die sich insbesondere in den wahnhaften Sequenzen immer wieder findet. Ein Priester hält Fando fest, während ein General ihm die Augäpfel heraus brennt, um sie anschließend zu verschlingen - eine Szene, die insbesondere in der Wahl des Bildausschnitts auch an Bunuels Der andalusische Hund (Un chien andalou, 1929) erinnert, es aber noch ein bisschen weiter auf die Spitze treibt. Kaum weniger deutlich eine andere Szene, in der ein Geistlicher die Waffen der Militärs segnet bevor sie mit ihren Tötungsinstrumenten davon marschieren - ein Bild das Leider alles andere als surreal überspitzt ist!
So erscheint Arrabals Metaphern- und Bildersprache also am Ende weit weniger kryptisch als es zunächst den Anschein haben mag. Lediglich die Menge und Wucht der Darstellungen sorgt für eine gewisse Unübersichtlichkeit. Das einzige Symbol, dessen Bedeutung für mich nach wie vor ein Rätsel darstellt, ist der Truthahn, den Fandos kleine Freundin ständig mit sich herumschleppt. Das Mädchen selbst personifiziert offensichtlich das Gute, die Unschuld und Hoffnung, sei es in der Mutter, der Tante oder auch von Fando selbst. Aber was den Symbolwert des Trutbergers angeht... Ein großes Fragezeichen.
Und wo wir gerade bei Tieren sind sei hier auch noch mal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es in Viva la muerte aus tierschutzrechtlicher Perspektive einige wirklich unschöne Szenen gibt. Ein mit einer Rasierklinge zerteilter Käfer ist da noch die harmloseste Variante. Insbesondere das in der Tradition der orgiastischen Performance-Kunst des Panic Movements inszenierte Finale inklusive ritueller Schlachtungs- und Kastrationsszenen, dürfte nicht nur radikalen Tierschützern unangenehm aufstoßen. Dennoch ist dem bizarren Initiationsritus, mit dem Arrabal die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit endgültig aufhebt (und auch Darstellerin Núria Espert einiges abverlangt!), eine ungeheuere, fast unerträgliche Intensität nicht abzusprechen.
Die kulturelle Sprengkraft des Films lag damals aber ebenso sehr in den gesellschaftskritischen Untertönen wie in der drastischen Darstellungsweise. So versteht Arrabal es, gesellschaftliche Absurditäten auf ebenso einfache wie entlarvende Art und Weise einzufangen. Bspw. in der Szene, als die Kinder "Staat/Regime" spielen und der Zufall durch Auswürfeln bestimmt, wer vom "Henker" im Auftrag des "Königs" (natürlich traditionell mit einem kirchlichen Symbol in der Krone) wie viele Schläge mit dem Riemen bekommt. Selten wurde staatlich-diktatorische Willkür besser charakterisiert - inklusive der passiven Akzeptanz des Spiels durch die Kinder in der Rolle der Untertanen, die zu keinem Zeitpunkt den Sinn hinter der Strafe hinterfragen.
Als treffender Beobachter des unseligen Zusammenhangs zwischen Erziehung und den gelebten Vorbildern der Umwelt erweist sich Arrabal, indem er zeigt wie Fando die Gewalt, die er in der Familie erfährt, an seine unschuldige Freundin Therese weitergibt. Allerdings ist er zumindest noch in der Lage, seinen Fehler zu erkennen, als sie vor ihm flieht. Eine Einsicht, die die Rebellion gegen die wirren Wertvorstellungen von Mutter, Tante und Großmutter vorantreibt und ihn dem Ausbruch einen Schritt näher bringt.
Der titelgebende Ausspruch "Viva la muerte!" entstammt übrigens einer Diskussion zwischen dem damals schon ziemlich kriegsversehrten Gründer der spanischen Fremdenlegion, General Millan Astray, und dem spanischen Philosophie-Professor Unamuno, während der der General ausgerufen haben soll "Nieder mit der Intelligenz! Es lebe der Tod!". Bei dem Film selbst handelt es sich um die Verfilmung von Arrabals eigenem Buch "Baal Babylone". Interessant ist auch, dass dieser Ausflug in das Unterbewusste des Regisseur mit der Hoffnung des echten Arrabals endet, das sein Vater nach der mysteriösen Flucht aus dem Gefängnis überlebt und sich dem Widerstand angeschlossen hat...
Fernando Arrabal gilt als Initialzünder des spanischen Surrealismus und gründete zusammen mit Alejandro Jodorowsky (El Topo, Santa Sangre) und Roland Topor (Fantastic Planet) Anfang der 60er die Panik-Bewegung (Panic Movement) in Anlehnung an Pan, den Gott des Chaos. Mit ihren explosionsgeladenen, grenzüberschreitenden Performance-Inszenierungen waren sie Wegbereiter des totalen Freiheitsgedankens, der sich Ende der 60er aus der Kunst heraus immer mehr zu einem generellen Ausbruch einer Generation aus den bestehenden gesellschaftlichen Konventionen entwickeln sollte.
Arrabals Werk umfasst unzählige Bücher, etliche Theaterstücke ebenso wie Gedichtbände, Zeichnungen, Collagen oder auch Skulpturen. Zwischen 1970 und 1998 inszenierte er insgesamt 7 Filme, und da er die Anzahl laut eigenen Angaben an die Schöpfungsgeschichte angelehnt hat, sind diesbezüglich auch wohl keine weiteren Einträge in seine Filmographie zu erwarten. Zumindest nicht als Regisseur. Internationale Aufmerksamkeit erfuhren von den sieben Filmen allerdings nur die ersten beiden, Viva la muerte (1970) und I Will Walk Like a Crazy Horse (J'irai comme un cheval fou, 1972). Es folgten L'arbre de Guernica (1975), L'odyssé de la Pacific (1980), Le cimetière des voitures (1981), Adieu, Babylone! (1992) und Jorges Luis Borges - Una vita de poesia (1998).
Erste Berührungspunkte mit dem Medium Film gab es aber bereits vor der Filmwerdung des Panic Movement und Jodorowskys Adaption des Arrabal-Stücks Fando y Lis (1967), und zwar in Form von zwei ebenfalls auf Theaterstücken von Arrabal beruhenden Kurzfilmen des deutschen Regisseurs Peter Lilienthal, dem späteren Gründers des Filmverlags der Autoren. Namentlich handelt es sich um Picknick im Felde (1962) und Guernica - Jede Stunde verletzt und die letzte tötet (1965). Übrigens ist Viva la muerte auch nicht seine erster Auftritt als Schauspieler. Sein darstellerischen Debüt gab er bereits vier Jahre früher im kleinen 60's-Kultstreifen Wer sind sie, Polly Maggoo? (Qui êtes-vous, Polly Maggoo, 1966) vom späteren (Städte-)Starphotographen William Klein (Paris, New York). Sein letzten Auftritt in einer fiktiven Rolle hatte er in Die Hamburger Krankheit (1979), einer deutschen Variation von The Crazies, in dem Fernando Arrabal den Rollstuhlfahrer Ottokar auf der Flucht vor Seuchenkommandos spielt.
Mahdi Chaouch (Fando) hat an keinen weiteren Filmen mitgewirkt, und auch für Jaza Klibi (Therese) blieb es das einzige Gastspiel beim Film. Ebenso für Ivan Henryques (Fandos Vater). Núria Espert (Fandos Mutter) tritt zwar bis heute immer mal wieder in spanischen Filmproduktionen auf, ohne dabei allerdings an einer wirklich bekannten Produktion beteiligt gewesen zu sein. Ein Deutschland gelaufen sind nur der TV-Film Der König und die Königin (El Rey y la Reina, 1985) und die Mini-Serie Federico Garcia Lorca - Der Tod eines Dichters (Lorca, muerte de un poeta, 1987), sowie der in den 60ern gedrehte Brot und Blut (A las cinco de la tarde, 1961).
Anouk Ferjac (Tante Clara) ist seit den 70ern kontinuierlich fürs französische Fernsehen tätig, konnte aber auch schon vor Viva la muerte auf eine beachtliche Filmographie zurückblicken. So spielte sie z.B. an der Seite von Schauspielgrößen wie Candice Bergen, Ingrid Thulin und Yves Montand in Lebe das Leben (Vivre pour vivre, 1967) oder Der Krieg ist vorbei (La Guerre es finie, 1966) von Alain Resnais (Hiroshima mon amour, 1959). Eine vielbeschäftige Darstellerin, der allerdings der ganz große Durchbruch verwehrt geblieben ist.
Die Anfangsanimation (wobei Animation ein wenig übertrieben ist) stammt vom 1997 verstorbenen dritten Gründungsmitglied des Panic Movement, Roland Topor. Topor hat im cinematographischen Bereich vor allem als Art Director & Designer von sich reden machen können, wobei seine bemerkenswerteste Arbeit wohl Der phantastische Planet (La planète sauvage, 1973) von René Laloux (Herrscher der Zeit, 1982) ist, der deutlich die Handschrift Topors erkennen läßt. Er war aber auch an der Gestaltung so unterschiedlicher Filme wie Fellinis Casanova (1976) oder dem gewagten Puppentheater Marquis (1989) beteiligt. In letzterem Fall nahm er ebenso wie bei Roman Polanskis Der Mieter (Le Locataire, 1976) oder dem bereits erwähnten Die Hamburger Krankheit übrigens auch Einfluss auf das Drehbuch. Als Schauspieler kennt man ihn u.a. als Renfield in Werner Herzogs Nosferatu-Remake (Nosferatu - Phantom der Nacht, 1979).
Kameramann Jean-Marc Ripert fotografierte übrigens im gleichen Jahr das ungleich unkompliziertere Rachedrama Ein Bulle sieht rot (Un Condé, 1970) mit Gianni Garko.
Für den wirkungsvollen Soundtrack zeichnet sich ein gewisser Jean-Yves Bosseur verantwortlich, der aber nach Viva la muerte nicht mehr im Kinobereich in Erscheinung getreten ist. Der bekannteste Teil des Scores ist aber wohl der simple Ohrwurm, der die Handlung von Beginn an begleitet. Hierbei handelt es sich um das dänische Kinderlied "Ekkoleg", das Arrabal auf einer Reise entdeckte, für Viva la muerte adaptierte und von einem französischen Sängerknaben namens Eric Damain aufnehmen ließ. Das Lied wurde seinerzeit in der französischen Version sogar als Single veröffentlicht.
Bemerkenswert ist auch, dass der Nestlé-Konzern die alte Aufnahme vor 1-2 Jahren für seine "Aquarelle"-Kampagne wieder ausgegraben und international als Untermalung für die Werbespots eingesetzt hat. Sicher keine schlechte Wahl, aber auf die Idee muss man erst einmal kommen!
Nachdem das alte deutsche Tape mittlerweile ziemlich schwierig zu bekommen sein dürfte, ist es nun dem US-Label Cult Epics zu verdanken, dass Viva la muerte wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ist. Und dank eines neuen digitalen Transfers präsentieren die Amis den Film sogar in bemerkenswert guter Qualität. Insbesondere in den Realitätssequenzen weiß die Bildschärfe für einen 35 Jahre alten Film wirklich zu beeindrucken. Die verbleibenden marginalen Schlieren und Defekte des Masters lassen sich da problemlos verkraften. Auch die farblich verfremdeten Phantasiesequenzen sind qualitativ sicherlich nicht schlecht, nur fallen Kontrast und Sättigung hier zum Teil so hoch aus, dass im Vergleich zur blasseren deutschen Videofassung etwas an Detailschärfe verloren gegangen ist. Allerdings könnte ich mir andererseits vorstellen, dass dies auch schlicht der von Arrabal beabsichtigten künstlerischen Wirkung entspricht.
Die alte deutsche Fassung unterscheidet sich durch die Synchronisation übrigens auch in einigen Textpassagen von der Cult Epics-DVD und somit vom Original. So wurde bspw. in der Szene, als die Reiter über den Kopf des eingegrabenen Vaters hinwegpreschen, in der Synchro einfach ein Satz wie "Schlag ihm den Schädel ein!" ergänzt. Oder in der Szene, in der Fando in der Badewanne von Tante Clara abgeschrubbt wird, sagt er direkt im Anschluss an seine im wahrsten Wortsinn "schmutzige" Phantasie, dass ihm heiß sei, während in der deutschen Übertragung lediglich das Wasser heiß ist. Ein kleiner aber durchaus bedeutsamer Unterschied!
Die DVD bietet den französischen Originalton sowie eine spanisch synchronisierte Fassung jeweils in DD 2.0 Mono und mit optionalen englischen Untertiteln an. Beide sind gut verständlich und insbesondere in den musikalischen Passagen fallen keinerlei störende Knackser oder Knistern auf. Einen Audiokommentar von Arrabal, der sicherlich eine spannende und aufschlussreiche Sache gewesen wäre, gibt es nicht. Dafür findet sich aber im Bonusmaterial ein 2002 geführtes Interview, bei dem er sich zu einigen Aspekten seiner Arbeit und speziell Viva la muerte äußert. Hinzu kommen Aushangfotos zum Film, der Kinotrailer zu I Will Walk Like a Crazy Horse, Arrabals nächstem Film, sowie ein 6-seitiges Booklet, das auf kompakte Art und Weise die wichtigsten Infos zur Person Arrabals und den Hintergründen des Films vermittelt.
Alles in allem eine würdige Veröffentlichung, die man jedem, der sich ganz allgemein für ungewöhnliche Filme oder speziell für surrealistisch inspiriertes bzw. politisch motiviertes Kino interessiert, ruhigen Gewissens empfehlen kann - auch wenn es ganz bestimmt nichts für den entspannten Videoabend mit Freunden ist...
© Sense of View
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Redaktion.
© 1998 - 2024: Sense of View / Carsten Henkelmann