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(Ein Review von Carsten Henkelmann)
Der Bucklige Gotho (Paul Naschy) arbeitet als Gehilfe in der Leichenhalle des örtlichen Krankenhauses von Feldkirch. Von den meisten verspottet und verachtet, kümmert er sich dennoch rührend um die todkranke Ilsa (María Elena Arpón), die seine einzige Freundin ist. Als sie stirbt, ist er verzweifelt und tötet zwei Angestellte die Ilsas Schmuck stehlen wollten. Er versteckt die Leiche Ilsas in den Gängen alter Katakomben, weil er in seiner Verzweiflung glaubt, dass sie irgendwann wieder aufwachen würde. Dies nutzt der skrupellose Dr. Orla (Alberto Dalbés) aus, der seine Experimente mit künstlichen Leben nicht mehr offiziell weiterführen darf und nun sein Labor ebenfalls in den Katakomben einrichtet. Gotho soll ihn nun zuerst mit Leichen und später mit lebenden Menschen versorgen, im Versprechen dafür Ilsa wieder zum Leben zu erwecken ...
Mit Die Stunde der grausamen Leichen verbinde ich besondere Erinnerungen. Denn dies war zusammen mit Die Vampire des Dr. Dracula (La Marca del Hombre-lobo, 1968) nicht unbedingt meine erste Naschy-Filmerfahrung, aber ich lernte den Film auf der großen Leinwand in der Gesellschaft des ehrenwerten Schauspielers und vielen anderen Fans bei seinem Besuch im Filmclub Buio Omega kennen, was natürlich eine ganz besondere Atmosphäre war. Direkt nach Die Vampire des Dr. Dracula gefiel mir Die Stunde der grausamen Leichen zwar nicht so gut, da die Vampire im direkten Vergleich um einiges bunter und temporeicher waren. Aber damit tat ich dem Film Unrecht, wie ich im nachhinein zugeben muss. Denn für sich alleine betrachtet mögen die grausamen Leichen vielleicht nicht unbedingt den romatischen Vorstellungen des Gothic-Horrors Marke Hammer Studios entsprechen, wovon die Vampire deutlich mehr geprägt waren, aber durch den tragischen Charakter des Gotho bekommt dieser Film eine ungeheure Tiefe und eine Hauptperson mit der man mitfühlen kann.
Wenn man an Paul Naschy denkt, kommen dem Genre-Fan meistens einige seiner Werwolf-Filme in den Sinn, in denen er als Waldemar Daninsky nachts die Wälder unsicher macht. In Die Stunde der grausamen Leichen spielt er auch ein von der Natur verändertes Wesen, diesmal allerdings die relativ reale Gestalt eines Buckligen und ohne übernatürliche Einflüsse. Das dabei natürlich sofort Assoziationen zu Der Glöckner von Notre Dame entstehen liegt auf der Hand. Aber der Film hat damit eigentlich nur sehr wenig gemeinsam. Der von Javier Aguirre in Szene gesetzte Film ist vielmehr eine höchst unterhaltsame und abwechslungsreiche Mischung aus dem Glöcker..., Frankenstein, H.P. Lovecraft und vor allem dessen "Re-Animator" Geschichte, sowie der typischen Eurohorror-Atmosphäre der frühen 1970er Jahre mit ein paar kleinen Splatterszenen. Quasi eine Ode an alte Universal-Horrorklassiker vermischt mit neuerer Härte, wie sie die Hammer Studios in den 1960ern etabliert hatten.
Der von Paul Naschy recht überzeugend verkörperte Gotho ist eine klassische Gestalt der Tragödie. Von den Leuten verachtet, hat er keine Freunde, sondern wird von Kindern wie auch Erwachsenen gehänselt und gequält. Schuld daran ist aber auch seine leicht kindliche Naivität, die ihn sehr angreifbar macht. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn ihn Dr. Orla immer passend für seine Zwecke beeinflussen kann und Gotho fest in dem Glauben handelt, dass Ilsa wieder lebendig werden könnte. Die einzige die ihm wirklich zur Seite steht ist die Ärztin Elke (Rosanna Yanni), deren Zuneigung sogar weiter geht als man gemeinhin vermuten könnte, allerdings hat sie kaum eine Ahnung von seinen Taten. Paul Naschy, der das Drehbuch unter seinem richtigen Namen Jacinto Molina verfasste, sah seine Geschichte als Allegorie auf Spaniens Bevölkerung (=Gotho) und Francos Diktatur-Regime (=Dr. Orla), also die Manipulation, Unterdrückung und Beeinflussung höher gestellter Menschen auf die machtlose Bevölkerung.
Der Tod ist wie mein Bruder, er läßt mich nicht allein. Und geht er sich 'ne Seele suchen, dann möcht ich bei ihm sein.
- Gotho
Davon ist im Film natürlich nicht viel zu sehen und nur als übergeordnetes Motiv zu verstehen. Die Stunde der grausamen Leichen bietet keine schwere politische Kost, sondern ist ein eher leichtgewichtiger, abwechslungsreicher Gruselschocker mit einem Hauptcharakter, der trotz seiner grausamen Taten dem Zuschauer immer sympathisch bleibt. Gerade die Kombination des tragischen Charakters mit dem eher aus trashigen B-Movies entnommenen Elementen um den "Mad Scientist" Dr. Orla machen den Film so spannend und unterhaltsam. Man muss allerdings auch zugeben, dass der Film dadurch auch etwas ziellos wirkt. Während sich die Handlung anfangs noch sehr auf Gotho konzentriert, so rückt er im weiteren Verlauf doch mehr in die zweite Reihe um Platz für Orla und seine verrückten Experimente machen zu können und ihm als Handlanger zu dienen.
Wenig überzeugend erscheinen da auch die Nebenfiguren von Dr. Orla, namentlich sein Assistent Tauchner (Víctor Barrera) und seine Verlobte sowie Orlas Kollegin Dr. Maria (Maria Perschy). Ab einen gewissen Punkt spielt Tauchner sowas wie das Gewissen Orlas, wirkt dabei aber zu blass und zu inkonsequent. Die Rolle und der Stellenwert von Maria bleibt auch irgendwie undefinierbar und unzureichend dargestellt. Da begegnet ihr in den Katakomben etwas grauenhaftes und sie fällt in Ohnmacht, kurze Zeit später läßt sie sich von Orla seine Experimente erklären als ob nichts geschehen wäre. Ebenfalls etwas befremdlich erscheint eine kurze Szene aus einer Besserungsanstalt für Frauen, in der Elke arbeitet, in der sich zwei Frauen ihren sadomasochistischen Gelüsten durch Auspeitschen nachgehen. Zwar begegnet man diesen beiden Figuren später kurz wieder, das Auspeitschen an sich wirkt aber eher als reißerische Dreingabe, um den Film ein wenig "aufzupeppen".
Diese wenigen, leicht negativen Aspekte sollen aber nun nicht darüber hinwegtäuschen, dass Die Stunde der grausamen Leichen dem geneigten Fan eine Menge zu bieten hat. In kaum einem anderen Film werden in so einer abenteuerlichen Form grundverschiedene Elemente in einen Topf geworfen und dabei so verrührt, dass es als ganzes Werk doch noch zu überzeugen vermag. Klar, es hat irgendwo eine leicht trashige Note und ist sicherlich keine anspruchsvolle Filmkunst. Aber durch das Schauspiel Paul Naschys, der handwerklich guten Inszenierung, den stimmungsvollen Sets und den immer wieder neuen Ideen mit denen man konfrontiert wird, langweilt dies Werk zu keiner Sekunde und lädt durchaus zu einem wiederholten Anschauen ein. Die relativ kurze Spielzeit von nicht ganz 80 Minuten läßt auch keinen Freiraum für unnötige Nebenhandlungen, sondern präsentiert die Handlung kompakt und ohne Schnörkel.
Für seine Zeit bietet der Film auch einige relativ derbe Splattereffekte. Hier wird schon mal ein Fuß, eine Hand oder ein Kopf abgetrennt, aber mit einem reinen "Splattermovie" mit hohem Gore-Gehalt hat man es hier dann glücklicherweise doch nicht zu tun. Im Gegenteil, der Film würde auch ohne diese Effekte wunderbar funktionieren, aber damals war das sicherlich eine kommerziell geprägte Entscheidung gewesen diese Szenen zu drehen. Wobei sich über die Jahre hinweg das Gerücht verbreitete, dass in Die Stunde der grausamen Leichen echte Leichen zum Einsatz kamen. Aber, so unglaublich das auch klingen mag, in diesem Fall bewahrheitete sich dies sogar. Es handelt sich dabei um die Szene, in der Gotho für Dr. Orla einen Kopf holen soll und bei einer Leiche die Säge ansetzt. Der Körper war wirklich eine echte Leiche und die Szene entstand mit der offiziellen Erlaubnis des Leichenbestatters! Allerdings war dies auch keine leichte Szene für Naschy, der sich vor der Aufnahme erst mit einigen Whiskeys darauf vorbereiten musste. Der anschließend zu sehende abgetrennte Kopf war aber dann doch ein Spezialeffekt.
Durch einen anderen Aspekt hat der Film aber auch negative Schlagzeilen gemacht, wenn auch nicht zu der Zeit seiner Entstehung, sondern später: die Szenen mit den Ratten in den Katakomben. Die Ratten wurden einige Tage zuvor nicht mehr gefüttert und waren dementsprechend hungrig, als sie Naschy in der Szene angriffen. Naschy war zwar geimpft und gepolstert, trotzdem waren die Ratten recht angressiv und sprangen in der Tat so hoch wie man es im Film sieht. In der anschließenden Szene mit den brennenden Ratten handelt es sich leider nicht um einen Trickeffekt, sondern es wurden ttsächlich einige der kleinen Nagetiere angesteckt. Dies war abr nur möglich, weil es damals keinerlei Tierschutzbestimmungen in Spanien gab, was heutzutage mittlerweile anders ist.
Somit bleibt ein kleiner fader Beigeschmack in diesem ansonsten sehr empfehlenswerten Film. Es gibt einen nicht gerade alltäglichen Hauptcharakter, einen verrückten Wissenschaftler, eine noch verrücktere Kreation von ihm (die man geschickterweise erst am Schluß zu sehen bekommt) und andere schöne Dinge wie auch die (nur im deuschen Titel vorhandenen) "grausamen Leichen", denen ein sarkastisch-ironisches Schicksal anheimkommt. Und wer mal genauer darauf achtet, der wird sogar ein Katzenfell als Deko in Elkes Wohnung an der Wand entdecken! Die Stunde der grausamen Leichen mag vielleicht nicht unbedingt das Tempo einiger Werwolf-Naschys haben. Aber gerade weil er hier einen selbst in Genre-Filmen eher ungewöhnlichen Charakter verkörpert, wirkt der Film auf seine Art schon wieder originell. Natürlich bleibt alles noch Geschmackssache, einen Blick kann und sollte man aber mal riskiert haben. Wer weiß, vielleicht wird dieser Film für manchen ja der Einstieg in das "Naschy-Universum"?
Hier aus diesem Folterkeller müssen wir ein Laboratorium machen. Ja, das ist genau der richtige Platz!
- Dr. Orla
Die Stunde der grausamen Leichen war die zweite Zusammenarbeit zwischen Regisseur Javier Auirre und Paul Naschy. Die Produktion des Films war aber größtenteils eine sehr spontane Angelegenheit. Eigentlich war der Film El Gran Amor Del Conde Dracula (Count Dracula's Great Love, 1972) bereits in Produktion, als durch einen Unfall einige Schauspieler schwer verletzt wurden und ausfielen. Paul Naschy schrieb in kürzester Zeit dann das Drehbuch zu Die Stunde der grausamen Leichen, der aus der Not heraus gedreht wurde und erst im Anschluß ging es dann mit El Gran Amor... weiter. Der Charakter Gotho war inspiriert durch einen richtigen Buckligen einer Leichenhalle, den Naschy mal während der Produktion eines anderen Films getroffen hatte. Der Originaltitel bedeutet übersetzt eigentlich soviel wie "Der Bucklige von der Leichenhalle", womit die englische Übersetzung "Hunchback of the Rue Morgue" im Gegensatz zur deutschen Titelgebung relativ nah am Original blieb. Der deutsche Titel wurde sicherliche gewählt, um für die anvisierte Zielgruppe den Film in die Nähe von Die Nacht der reitenden Leichen (La noche del terror ciego, 1971) zu rücken.
Auch wenn der Film aussieht als ob er in Süddeutschland oder Österreich aufgenommen wurden, so entstand der Film doch komplett in Spanien. Das Örtchen Feldkirch war in Wirklichkeit die Stadt Viella in Nord-Katalonien. Und auch die Bar, in der die Medizinstudenten ihren Trinkwettbewerben nachgehen, war damals eine von vielen Deutschen besuchte Kneipe in Madrid, die aber heutzutage nicht mehr existiert. Als Drehorte dienten zwei richtige Krankenhäuser und auch die Katakomben gab es wirklich, allerdings konnte nur in dem Teil gedreht werden, der als relativ sicher galt. Die nebelverhangene Klosterruine, die man in der Mitte des Films sehen kann, diente schon als Kulisse in einigen anderen Naschy-Filmen.
Mit großen Problemen hatte man aber auf anderer Ebene zu kämpfen. Die Stunde der grausamen Leichen war für seine Zeit und vor allem für das gerade von der Franco-Diktatur befreite Spanien in der Liebesszene zwischen Elke und Gotho weit seiner Zeit voraus. In der Szene waren ursprünglich beide Schauspieler nackt zu sehen, Paul Naschy bekam sogar einen hautfarbenen Buckel verpasst. Die spanischen Zensoren waren aber so schockiert davon, dass sie die Szene kurzerhand vernichteten und das einzige was heute noch daran erinnert, ist ein Aushangfoto mit dem Motiv. Für Spanien wurde dann eine Szene gedreht, in der Naschy und Rosanna Yanni komplett bekleidet waren und eine Exportfassung, in der man zumindestens Rosanna Yanni ihre Reize zeigen kann, wenn auch eher verhalten und nur für einen kurzen Moment.
Paul Naschy interessierte sich schon sehr früh für Filme und Literatur, schlug aber erstmal den Weg eines Architekturstudiums ein und wurde spanischer Meister im Gewichtheben. Zur Schauspielerei kam er eher durch Zufall und als für Die Vampire des Dr. Dracula (La Marca del Hombre Lobo, 1968) Lon Chaney jr. nicht gewonnen werden konnte, wurde Naschy gebeten die Hauptrolle zu übernehmen, da er ohnehin schon das Drehbuch geschrieben hatte. Dieser Film wurde ein großer Erfolg in Spanien und auch in Europa und etablierte seine Paraderolle des Waldemar Daninsky. An diesem Namen waren indirekt auch die spanischen Zensoren schuld, denn die wollten nicht, dass Naschy einen Spanier mit dem Werwolf-Fluch verkörperte und so wurde daraus eben der Pole Daninsky. Aber erst Nacht der Vampire (La Noche del Walpurgis, 1970) löste einen Boom an spanischen Horrorfilmen aus.
Aber auch Die Stunde der grausamen Leichen war recht erfolgreich und für seine Leistung als geläuterter Gotho erhielt Paul Naschy sogar einige Filmpreise. Gotho hat im spanischen Original sogar den Vornamen Wolfgang, was Naschy, der auch die Filme des deutschen Expressionismus schätzt, als Verbeugung vor Mozart und Goethe eingebaut hatte. Und noch einen namentlichen Unterschied gibt es bei dem von Maria Perschy verkörperten Charakter der Ärztin. Während sie im spanischen Original Frieda mit Vornamen heißt, ist es in allen Exportfassunen schlicht Maria.
Zu den bekanntesten Naschy-Filmen neben Die Vampire des Dr. Dracula und Die Stunde der grausamen Leichen gehören sicherlich noch Nacht der Vampire (La noche de Walpurgis, 1971), Blutmesse für den Teufel (El espanto surge de la tumba, 1973) oder Der Totenchor der Knochenmänner (La orgía de los muertos, 1973). Ein Herzinfarkt mit anschließender Behandlung warf ihn Anfang der 1990er etwas aus dem Geschäft, aber seit dem Jahre 2000 ist er wieder verstärkt tätig geworden wie z.B. in School Killer (2001), Mucha sangre (2002) oder durch eine Nebenrolle in dem ansonsten eher flachen Rottweiler. Regisseur Javier Aguirre war in der Tat kein untätiger Mann, aber außer den Filmen mit Paul Naschy ist kaum einer seiner Filme international bekannter geworden.
Für Rosanna Yanni war dies nicht ihr erster Film mit Paul Naschy. Sie trat auch schon in Die Vampire des Dr. Dracula, Count Dracula's Great Love auf und später noch einmal in einem Film namens Madrid al desnudo (1979). Ansonsten kennt man sie wohl eher als eine Hälfte des erotischen Detektivinnen-Duos aus den Jess Franco Filmen Rote Lippen / Two Undercover Angels (El caso de las dos bellezas, 1969) und Küß mich Monster (1969) und sie spielte auch in dem von Sergio Corbucci inszenierten Western Die rote Sonne der Rache (J. and S. - storia criminale del far west, 1972) mit. Mit Jess Franco hatte zuvor auch schon Alberto Dalbés eine Menge zu tun, der in seinen The Diabolical Dr. Z (Miss Muerte, 1966), Der Teufel kam aus Akasava (1971), Das Blutgericht der gequälten Frauen (Les expériences érotiques de Frankenstein, 1972) und Die Nonnen von Clichy (Les Demons, 1972) kleine und größere Rollen bekleidete. Daneben spielte er aber auch in Todesmarsch der Bestien (Condenados a vivir, 1972) mit.
Maria Perschy ist dem Exploitationfan sicherlich ein Begriff. Trat sie Anfangs in Thrillern wie Nasse Asphalt (1958) auf, so sah man sie in den 1960er und 1970er Jahren in Filmen wie Kommissar X - Jagd auf Unbekannt (1966), Die Folterkammer des Dr. Fu Man Chu (1969) oder Das Geisterschiff der schwimmenden Leichen (El buque maldito, 1974). Mit den reitenden Leichen hatte auch María Elena Arpón zu tun, die das erste Opfer in Die Nacht der reitenden Leichen (La Noche del terror ciego, 1971) spielte, aber ansonsten kaum nennenswerte Rollen aufweisen konnte. Tauchner wurde von Víctor Alcázar verkörpert, der zu der Zeit noch in ein paar anderen Filmen mit Paul Naschy auftauchen sollte.
Auch wenn die DVD mit einem empfohlenen Verkaufspreis von 35 Euro enorm teuer erscheint, so ist doch die von Anolis in Zusammenarbeit mit dem Geheimnisvollen Filmclub Buio Omega und unter persönlicher Mitwirkung von Paul Naschy veröffentlichte Special Edition von Die Stunde der grausamen Leichen nicht nur jeden Cent wert, sondern überdies auch noch ein echtes Liebhaberstück, bei dem man genau merkt das hier wahre Fans am Werk waren. Die auf 3000 Stück limitierte Edition wird als Digi-Book, also in einem buchähnlichen festen Einband verkauft und wird in einigen Jahren sicherlich ein gesuchtes Sammlerstück sein. In dem Bucheinband befindet sich dann auch das 32-seitige Booklet, in dem Liner Notes von Christian Keßler und Paul Naschy Experte Mirek Lipinski abgedruckt sind, letztere sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch. Und sozusagen auf der letzten Seite des Einbandes sitzt dann die DVD in einer Plastikhalterung. Schon allein optisch eine sehr schöne Veröffentlichung.
Das einzige was vielleicht ein bißchen enttäuschen mag, sind die technischen Aspekte der DVD, die aber schon durch das umfangreiche Bonusmaterial mehr als ausreichend ausgeglichen werden. Allerdings auch nur, wenn man zu der pingeligen Sorte von DVD-Käufern gehört, die meinen jeden Pixel unter die Lupe nehmen zu müssen. Da leider auf kein original Negativ zurückgegriffen werden konnte, diente eine deutsche Kinokopie als Grundlage für den Transfer. Die Schärfe erlangt daher leider nur gute Durchschnittswerte, manche Szenen erscheinen etwas zu hell und die Farben wirken ein klein wenig ausgewaschen. Auch kann man immer wieder mal kleinere Bildschäden und vertikale Linien entdecken. Der deutsche und spanische Ton klingen relativ klar, kleinere Knackser oder dezentes Rauschen kann man immer wieder mal vernehmen. Am schlechtesten schneidet aber der englische Ton ab, der deutlich dumpfer klingt. Das ist aber alles ziemlich egal, denn in naher Zukunft wird man diesen Film wohl kaum in einer besseren Verfassung zu sehen bekommen und wer sich an den technischen Mängeln stört, der hat den Sinn dieser DVD-Veröffentlichung eh nicht begriffen.
Denn durch das ausführliche Bonusmaterial wird die DVD letztendlich zum leuchtenden Juwel unter den Genre-Veröffentlichungen der letzten Jahre und sticht dabei selbst die meisten DVDs der Criterion Collection aus. Mit Paul Naschy wurde eigens ein kleines amüsantes Intro erstellt, in dem er einen Raum betritt, durch die Reihen von Videos und Super-8-Rollen seiner eigenen Filme streift, Die Stunde der grausamen Leichen herauszieht, sich über den deutschen Titel wundert und den Film schließlich in den Projektor einlegt. Ein grandioser Einstieg!
Ebenfalls hat diese DVD den weltweit ersten Audiokommentar von Paul Naschy zu bieten, der von Ivo Scholske von Anolis Entertainment moderiert wurde. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse spricht Naschy den Kommentar sogar auf Deutsch. Allerdings ist seine Aussprache nicht immer die deutlichste und des öfteren schmeißt er auch englische oder spanische Begriffe dazwischen, was das Verständnis nicht unbedingt erleichtert. In Hinblick auf den internationalen Markt gibt es zum Kommentar englische Untertitel, die man aber selbst als Deutscher schon fast automatisch aktiviert, um etwas mehr verstehen zu können. Durch diesen Kommentar lernt man einiges über die verschiedenen Schauspieler, die Produktion und man bekommt auch manch haarsträubende Anekdote zu hören (z.B. mit der echten Leiche die Naschy ansägen musste).
Zum Film gibt es natürlich auch den deutschen Trailer, der den Film gewohnt reißerisch ankündigt. Die spanische und amerikanische Titelsequenz unterscheiden sich nicht großartig von der deutschen Version, allerdings sind der Filmtitel und die Credits natürlich in der jeweiligen Sprache. Einen kleinen Einblick in damalige Vermarktungsstrategien gibt dann der Punkt "Nackt oder nicht nackt". Aufgrund der Zensurbestimmungen im damaligen Spanien durften Sexszenen nicht zu freizügig sein, während man für den Exportmarkt (darunter auch Deutschland) solche Szenen dann nochmals ohne Klamotten drehte. Dies wird anhand der kurzen Liebesszene zwischen Gotho und Elke demonstriert.
Die Super-8-Fassung des Films ist hier ebenfalls komplett enthalten. Diese zweiteilge Fassung (Teil 1: Die Stunde der grausamen Leichen - Teil 2: Der Nervenhammer) läßt den Film auf gerade mal knapp über 30 Minuten schrumpfen. Die Bildqualität ist natürlich dem Alter und Medium entsprechend, aber trotzdem ein netter Beweis wie extrem die Filme damals für diese frühe Form des Heimkinos zusammengefasst wurden. Die Bildergalerie bietet zahlreiche Plakatmotive, Aushangfotos und Werbematerialien, die Darstellung des deutschen Filmprogramms und der Werbeflyer wurde als kleine Slideshow realisiert.
Wer nun meint dies wäre alles gewesen, sieht sich getäuscht. Denn es gibt noch eine zweite Seite mit Bonusmaterial, die mit dem amüsanten Fake-Beitrag "Reise nach Feldkirch" beginnt, in dem Paul Naschy das angebliche Feldkirch noch einmal besucht. Ich persönlich habe mich aber am meisten über "Paul Naschy zu Gast beim Buio Omega" gefreut, also die Aufnahmen des Auftritts von Naschy im Jahre 2002 bei dem Filmclub, was gleichzeitig auch mein allererster Besuch dieser empfehlenswerten und allmonatlich stattfindenden Veranstaltung war. In einer Stunde gibt es Impressionen von der Veranstaltung inkl. Vorstellung, Autogrammstunde etc. und natürlich auch dem ausführlichen und auch sehr informativen Interview, dass von Christian Kessler geführt wurde.
Und was wäre die DVD ohne eine Filmographie von Paul Naschy. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen DVD-Filmographien, die eigentlich nur Kopien der Angaben der IMDB darstellen, hat diese es in sich. Hier gibt es nicht nur neben den original Filmtiteln noch die verschiedensten internationalen Alternativtitel, sondern auch - sofern bekannt - die deutschen Starttermine und Laufzeiten der Kinofassungen. Und wer die ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Buio Omega erstellte DVD von Blutige Seide kennt, wird wissen das irgendwo in der Filmographie noch Trailer zu einigen anderen Filmen versteckt sind. So auch hier, denn dem Fan werden noch die Trailer zu Die Vampire des Dr. Dracula (La Marca del Hombre Lobo, 1968), Dracula jagt Frankenstein (Los Monstrous del Terror, 1969), Nacht der Vampire (La Noche de Walpurgis, 1970), Blutmesse für den Teufel (El Espanto Surge de la Tumba, 1972), Blutrausch der Zombies (La Rebellion de las Muertas, 1972) und Die Todeskralle des grausamen Wolfes (El Retorno del Walpurgis) geboten, letzteren allerdings in der englischen Curse of the Devil Form.
Die Trailer sind aber nicht die einzigen versteckten Features. Wer die DVD Credits einmal genauer unter die Lupe nimmt, wird auf einen sehr obskuren, aber auch irgendwie mutigen Beitrag stoßen. Zwei Mitglieder des Filmclubs Buio Omega hatten 1981/82 in ihren jungen Teenagerjahren selbst einen von Die Stunde der grausamen Leichen inspirierten Film namens "Der Bucklige von Blackwood Forrest" gedreht. Das ganze ist natürlich extremst amateurhaft, entbehrt aber nicht eines gewissen naiven Charmes. Das gleiche Spielchen kann man dann im Sprach-Menü durchführen, wo man dann eine kurze Galerie mit Fotos von den Aufnahmen zum Intro finden kann. Und auch im Hauptmenü gibt es einen versteckten Punkt, über den man sich eine kurze Galerie mit Bildern vom Besuch Paul Naschys beim Filmclub und einigen Szenenfotos anderer Filme von ihm anschauen kann.
Um es mal ganz im Stile des Filmclubs zu beschreiben: wer diese DVD verpasst, der hat unwiederbringlich etwas verloren!
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04.08.2007, 19:33:14 Udo ( )
Ich habe mir kürzlich die DVD bestellt und warte jetzt voller Ungeduld auf ihre Zustellung.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich den Film Mitte der 80er Jahre das erste mal gesehen habe. Ein spannender und äusserst unterhaltsamer Horrorfilm mit einem bemitleidenswerten Protagonisten. Für einen Film aus den frühern 70ern sind die Effekte wirklich in Ordnung.
Absolut eine Empfehlung für alle Gruselfreunde.