(Ein Kurzreview von Carsten Henkelmann)
CITY OF GOD erzählt die Geschichte einiger brasilianischer Kids, die schon in jungen Jahren mit Brutalität und Gewalt in Berührung kommen. Ein sogenanntes normales Leben ist ihnen so gut wie nicht möglich. Selbst wenn sie es sich vornehmen und eine normale Arbeit annehmen, geraten sie doch irgendwann auf die schiefe Bahn. Einer der Hauptcharaktere ist Busca-Pé, der davon träumt als Fotograf für Zeitungen arbeiten zu können und für Gewaltverbrechen einfach nicht das nötige Rückgrat hat. Die Geschichte des Stadtviertels City of God wird durch ihn wiedergegeben und porträtiert den Lebenslauf des brutalen Mörders und Drogendealers "Locke". Die Geschichte gipfelt sich zu einem der blutigsten Kämpfe rivalisierender Gangsterbanden, die Rio je erlebt hat.
Die auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte zeigt ein enorm brutales Bild von den Lebenszuständen in den Slums von Rio de Janeiro. Von der Politik völlig auf sich allein gestellt, leben die Menschen nur von heute auf morgen. Gewalt ist allgegenwärtig und selbst kleine Kinder zögern nicht die Waffe zu ziehen und andere umzubringen. Im Gegensatz zu dem ähnlich gestrickten koreanischen Film FRIEND (hier auch schon besprochen) vermag CITY OF GOD seine Message deutlich rüberzubringen und überzeugt auch auf der technischen Seite. Ich war überrascht, wie handwerklich solide der Film inszeniert und geschnitten wurde.
CITY OF GOD ist ein Film, den jeder mal gesehen haben sollte. Er ist brutal, enorm bedrückend und hat ein paar Szenen, an denen man schwer zu schlucken hat. Dabei wurde aber auf eine plakative Darstellung der Gewaltszenen verzichtet, sondern die fügen sich reibungslos in den Film ein. Durch den verwendeten Stil bekommt der Film zudem einen dokumentatorischen Touch, der die Realitätsnähe fördert und den Film noch unterstützt. Obwohl zum größten Teil nur Laiendarsteller in die Rollen schlüpften, sind die gebotenen Leistungen sehr gut und die menschlichen Schicksale nachvollziehbar.
Eine deutliche Empfehlung meinerseits!
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16.05.2007, 17:29:04 Dietmar Kesten
CITY OF GOD
GHETTOS, FAVELAS UND BANLIEUE
von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 8. MAI
2004.
Verwahrlosung, Gewalt, Drogen, Bandenkrieg, Dealer und Mörder, Schicksale, Raubüberfälle, Hass. Das Kino zeigt das Ghetto, von dem einst Elvis sang (“In the Ghetto”, LP: “A Legendary Performer”, 1978, Vol. 3). Alles, was sich dort aufstaut, ein Leben ohne Perspektive, kappute Menschen, die gekennzeichnet sind.
„City of God“ (Regie: Fernandes MEIRELLES, 2002) zeigt Lebensgefühle. Die Kamera folgt den Einbahnstraßenschicksalen, bei denen es kein Vorwärts und kein Rückwärts mehr gibt. Schnitt- ob geschachtelte Häuserfronten, coole Gewaltbilder, Rachemorde, fiese Typen, Lebensgefühl und Ästhetik: sie begleitet das lässige Auftreten des Ghettoclans. Ist es ein Selbstbildnis, das jugendliche Gewalttäter vor die Kamera holt, die Faszination, die Ghettos auf Filmemacher ausüben, wenn sie sich Randgruppenproblematiken nähern?
Ist es die Realität dieses Milieus, an dem man sich berauschen kann, wie einst in „Menace 2 Society“ (Regie: Albert HUGHES/ Allen HUGHES, 1993). Was soll protokolliert werden: etwa, das es für diese Menschen keinen Ausweg mehr gibt, das die Globalisierung jetzt auch die Armenviertel dieser Welt erreicht hat, was wir doch schon längst wussten, oder das der Mensch Produkt seiner Umwelt und der Erziehung ist? Das Kino kann mit jedem sozialen Desaster etwas anfangen. Ob es Streetwalker begleitet, Gefahren in Dokumentationen beschreibt: es ist allgegenwärtig. Das, was heute euphorisch gefeiert wird, ist morgen schon wieder archiviert.
Der brasilianische Film „City of God“ ist streitbar Wie viele der Ghettofilme, oder wie die, die vorgeben, über Slums und Elendsviertel berichten zu wollen. Er handelt von beunruhigenden und nachdenklichen Innenansichten eines dieser Viertel, in denen alle Tage gleich sind, alle Monate, alle Jahre- ein Leben lang. Wenn man in den Favelas aufwächst, ist die Kindheit schnell zu Ende. Darüber, über Rücksichtslosigkeit, die in Dadinho (Douglas SILVA) verkörpert ist, Schüchternheit, mit der Buscape (Alexandre RODRIGUES) nicht so richtig umgehen kann, und der davon träumt, Fotograf zu werden, über Gesetzlosigkeit, die sich in der Person Mane Galinha (Seu JORGE) niederschlägt, berichtet der Film in Rückblenden. Es ist die Geschichte von Jugendlichen aus einem Viertel am Rande von Rio de Janeiro. Er erzählt übergreifend vom Drogenhandel, Dealern, von Abhängigen, Vergewaltigungen, von der Sucht, davon loszukommen, ein anderes Leben zu beginnen. MEIRELLES beschreibt Gewalt und seine Formen: schwerbewaffnete Kids, hochgerüstete Polizei, Ort der Krisen, Barbarei, die Aggression.
Eine Reihe von filmischen Hinweisen, Bilder, Filmschnipsel, dreckige Aufnahmen, aus dem Rahmen fallende Filmgemälde, belegen die Verschlagenheit dieser Straßenviertel, Wohnblocks, die Straßenzüge am Ende der Zivilisation. Es sind Zeichen der verdrängten Gewalt, der neu entstehenden, das Leben mit der Gewalt, die hier im Film vor runden 15 Jahren begann, und die auch hier endet.
Fast fühlt man sich an die ‚Black- Panther’ Bewegung zu Beginn der 60er Jahre erinnert, wenn man die Pistoleeros sieht, sie reden hört. Ihr Outfit könnte einem Andy WARHOL Vorschlag entnommen sein, ihre Frisuren lassen an Che GUEVARA denken, und insgesamt liegt auf diesem Underground Black- Musik. Man fühlt, dass man sich in die Lage dieser Menschen versetzen könnte, und trotzdem ist man froh, nicht zu ihnen zu gehören. Ein Leben ist schnell beendet. Für eine Handvoll Dollar, lohnt es sich nicht zu sterben. Auch nicht für ein paar Gramm Heroin oder Crack.
Jugendgewalt, ein Dauerthema im Kino. Man muss sie darstellen, deutlich und mit Verve. Doch leider hat die Bilderpopkultur einen Film, der überragend hätte sein können, zerstückelt. Das, was ehrenvoll begann, endet ehrlos, was zu Anfang noch nachdenklich stimmte, wird Klischee. Bilder wie diese, in schwarz-weiß oder in Farbe zeigen, dass selbst die heikelsten Themen den Abnutzungserscheinungen dieses Geschäfts unterliegen. Der Blick der Kamera auf abgerissene Kleidung, Goldkettchen, oder verstörte Gesichter, sind (zu) aufdringlich als dass sie warnend wirken könnten. Wir wiegen uns auf der sicheren Seite, weil doch die Bilder nur das Ghetto zeigen, nicht darüber hinausgehen. Und weil sich die Gewalt nur nach innen richtet, beruhigt das. Ein vermeidbarer Fehler?
Das Aussteigen ist indes ein schmaler Grat. Drogen, Gewalt und Kriminalität sind allgegenwärtig. Das Aufkeimen der Gewalt, seine Verselbständigung, die Charaktermasken, hinter denen Sachlichkeit und überforderte Zivilisation steckt- sie ist ein Grund mehr, sich aus der eigenen Trutzburg zu befreien, und sich trotz allem sachlich mit der Thematik zu beschäftigen.
Der Ghettofilm „City of God“ mag eine filmische Belehrung mit farbenprächtiger Optik sein. Er ist manchmal einen Tick zu postmodern. Das Schlachtermesser zu Beginn des Films (inmitten eines Federviehs), das sich rotierend auf einem Schleifstein bewegt, den Beginn der Kämpfe signalisiert, darf nicht für die Moderne stehen. Nicht heute, nicht morgen und auch nicht für alle anderen Zeiten. Aus der Distanz heraus erfährt man hier viel über den Zerstörungs- und Selbstzerstörungsprozess des modernen Kapitalismus. Man sollte sich aber nicht von der eigenen Ohnmacht dumm machen lassen. Zu aufgesetzt wirkt der Film. Über alle Grenzen hinweg ist die gesamte Modernisierungsgeschichte auch über die Ausgrenzung, Globalisierung, gesellschaftlicher Kehrtwendung, soziale Degradation, Verelendung und Entsolidarisierung aufgebaut worden. Die Ansätze des Films, das zu beschreiben sind ehrenvoll. Was soll er sein? Ein politischer, ein gesellschaftskritischer Film, einer der eingebunden ist in die Geschichte von jugendlichen Banden, von Menschen, die die Kurve kriegen?
Vieles kann er nicht einlösen. Was er nicht einlösen kann, muss die Aufgeklärtheit den Menschen überlassen bleiben: dazu beizutragen, das wir selbst nicht zu Emigranten im eigenen Lande werden.