(Ein Kurzreview von Carsten Henkelmann)
Der Kaufmannssohn Victor Van Dort soll Victoria Everglot heiraten, Tochter eines zwar adeligen, aber verarmten Ehepaares. Durch einen dummen Zufall erweckt er beim Proben im einsamen Wald eine Leiche. Dabei handelt es sich um eine Frau, die dort vor Jahren wurde und kurz vor ihrer Heirat stand. Sie sieht Victor nun als ihren Ehemann und Erlöser an und nimmt ihn mit in ihre Welt der Toten. Victor hingegen möchte lieber wieder zur Oberfläche, auch wenn er Victoria irgendwie beibringen muss, dass er plötzlich eine Leiche als Ehefrau hat ...
Auch wenn man "Corpse Bride" vorwerfen muss, dass man die Handlung in drei Sätzen zusammenfassen kann, so kann der Film vor allem durch seine phantasiereichen und liebenswürdigen Charaktere begeistern. Und nicht zu vergessen Danny Elfmans schmissiger Soundtrack! Mit viel Phantasie und liebe zum Detail wurde die Welt der Corpse Bride erstellt und sie bietet den passenden Hintergrund für eine Geschichte mit ein wenig Drama, Gothic und viel Humor, der stellenweise sogar richtig schön schwarz ist. Stellenweise hätte man sich allerdings etwas mehr Komplexität gewünscht, denn die Geschichte ist in ihrer Einfachheit ganz klar als Märchen definiert, was den Film allerdings auch sehr zugänglich für ein jüngeres Publikum macht. Auch wenn man die beiden Filme eigentlich nicht vergleichen kann, so hat mir "Corpse Bride" deutlich besser als "Nightmare Before Christmas" gefallen, ein Meilenstein ist es aber dann leider nicht ganz geworden. Die englische Originalfassung bietet obendrein noch die Synchronstimmen von Johnny Depp, Helena Bonham Carter und Christopher Lee.
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15.05.2007, 17:04:02 Dietmar Kesten
CORPSE BRIDE
NICHT NUR PUPPENDRAMEN
von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 5. NOVEMBER 2005.
Einsam und verlassen zu sein, abgrundtiefen Schmerz zu empfinden, das taube Gefühl, in einem ständigen Klima der Angst leben zu müssen, aus der es scheinbar kein Entrinnen gibt, das nimmt einem die Luft zum atmen. Und führt in die schrecklichsten Visionen. Wer mit dieser tief - traurigen Melancholie aufgewachsen ist, die Außenwelt negiert und den Blick in das Innerste, in die Seelenmitte freigibt, wird niemals mehr die Sonne sehen. Wer sich einmal mit Verlogenheit, mit Verrat, Demütigung und Heuchelei umgeben musste, wird immer auf der Schattenseite des Lebens stehen, immer auf dem abgesägten Ast sitzen und nie den sicheren Baumwipfel erreichen. Menschen, die in sich selbst vergraben sind, benötigen die liebevolle Umsorgung, Herzlichkeit und Geborgenheit. Sie sind getrieben, manchmal von Todesnähe und Todessehnsucht umgeben. Und immer bleibt man Ende, was man ist. Womöglich ist es diese individuelle Sichtweise, die dazu führen mag, sich behutsam einem Film anzunähern, den (lebendige) Zeitgenossen verlachen könnten, da es sich ja bei „Corpse Bride“ um kopflose und tote Puppen handelt, die auf ihre Weise in die schnöde Welt einbrechen, den Tanz auf dem Vulkan proben, um im Tod gleichzeitig eine Feier des Lebens zu sehen.
Wer Tim BURTON („Batman“, 1988, „Edward mit den Scherenhänden“, 1990, „Batmans Rückkehr“, 1991, „Ed Wood“, 1994, „Sleepy Hollow“, 1999, „Big Fish“, 2003, „Charlie und die Schokoladenfabrik“, 2005) kennt, der weiß, dass das Leben ihn nie glücklich gemacht hat, dass die Zugehörigkeit zur Absurdität des Daseins eher einen Schattenriss darstellt, dass ihm die Nachtmonster und die bizarre Dunkelheit mehr Energie gegeben haben, als all das, was man gemeinhin mit kopflosem Anrennen gegen (sicheren) Wohlstand und Realität bezeichnet. „Corpse Bridge“ kommt rechtzeitig. Der Film setzt sich gegen die Verfälschungen des Lebens durch, gegen punktgenaue Leinwanddarstellungen, gegen naive Verwandlungen, pittoreske Provinzen, großmäuliges Auftreten und mittelmäßige Schauspielkunst. Das Totenreich lockt. Und es lässt einen erschaudern. Selbst dann, wenn Puppen das Sagen haben.
Heiraten kann tödlich sein. Das erfährt Victor relativ schnell. Den Treueschwur vermasselt er. Und schon steht die Ehe mit der schönen Victoria auf der Kippe. Der angehende Bräutigam sucht Ruhe in einem Wald, um dort in Ruhe üben zu können. Beim Training schiebt er ausversehen den Ring auf den Finger einer (lebendigen) Leiche, einer verstorbenen Braut, die nun glaubt, Victor hätte sie auserwählt. Ihr Tod trat schließlich noch vor ihrer eigentlichen Heirat ein. Im farbenprächtigen Totenreich läuten für Victor nun die Hochzeitsglocken, während in der Zwischenzeit Victoria mit Barkis Bittern plant. Victor, der sich nun in der Zwickmühle befindet, muss sich für beide Seiten offen halten, für Tote und Lebendige, um rechtzeitig vor dem Traualter stehen zu können. Untote werden lebendig und das morbide Spektakel zieht seine Kreise.
Die Tabuzone, der Tod und das Hadern der Lebendigkeit mit ihm, das sind die beiden zentralen Themen in „Corpse Bridge“. Der verschwiegene Tod und die Angst davor, sich mit ihm auseinandersetzen zu müssen, beflügelte jede Philosophie dazu, ethische Grundsätze zu entwickeln, die für alle Zeiten Gültigkeit haben sollten. Bei BURTON bringt das keine Notwendigkeit mit sich. Ihn treibt die Angst von alleine, die Angst vor einem Klima, in dem anscheinend nur die lebendige Lebendigkeit zählt und die Dunkelheit des Lebens gar nicht mehr wahrgenommen wird.
Vielleicht hat man sich immer zuviel vom Leben versprochen und die Verästelungen und Rätselinschriften des Geworfen - Seins nie ernsthaft wahrgenommen. Auch deshalb mag die untergehende Titanic ein lebendiges Totenreich zu sein, auf der man aus dem Staunen nicht herauskommt, wenn die Einschläge immer näher kommen. BURTONs bitterböse Parabel ruft in Erinnerung, dass man sich selbst noch im Tod annähern kann, dass er selbst zum Leben gehört, ein Teil des Lebens ist. Und dass sich mit ihm einmal mehr die Frage nach Schuld und Schuldigen, nach Erlösung und (Er-)Rettung stellt. Deshalb lässt er die Skelette tanzen. Seine Leichen singen und trinken. Und sie machen gute Mine zu bösem Spiel. Und am Ende findet sich die Liebe im Mondenschein.
Das Leben kann nicht verfälscht werden. Es ist auf der Tatsache aufgebaut, dass es seit dem ersten Schrei ständig und stetig dem Sarg entgegengeht. Das zu begreifen, wäre eine Möglichkeit, sich meditativ und mit viel Versunkenheit dem Film zu nähern. Wir alle wissen um unsere Endlichkeit. Deshalb sind die Aussagen in „Corpse Bridge“ so wahr und gleichzeitig so lebendig.
Fazit:
Ein grotesker, bunter und lebendiger Totenfilm mit massiven Bezügen zur Realität. So kann diese melancholisch - dunkel Romantik unser Dasein bereichern.