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(Ein Review von Frank Meyer)
Ein Dieb dringt in den Turm eines Alchemisten vor, doch statt den Eindringling zu bestrafen, unterweist der spirituelle Meister ihn in der Lehre des Tarot. Gemeinsam mit einer Dienerin und sieben weiteren Gefährten, die je einen Planeten (Venus, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und Pluto) verkörpern, macht man sich schließlich unter der Führung des Alchemisten auf, zum heiligen Berg, um das Geheimnis des ewigen Lebens zu ergründen, das dort der Legende nach von neun gottgleichen Unsterblichen bewahrt wird. Aber bevor die Gruppe ihr Ziel erreichen kann, müssen die ungleichen Individuen zunächst zum kollektiven Selbst verschmelzen...
Klingt nach esoterischer Grütze? Nun, so ganz verkehrt liegt man mit dieser Einschätzung nicht, und wenn es darum geht, Zugang zu dem Treiben auf der Leinwand zu gewinnen, könnte eine gewisse Affinität zu spirituellen Inhalten durchaus hilfreich sein. Eingefleischte New Age-Jünger sind da klar im Vorteil. The Holy Mountain steigert die religiöse Symbolorgie von El Topo nämlich in einem Maße, dass Jodorowskys vorangegangenes Werk im direkten Vergleich beinahe noch als leichte Unterhaltung durchgehen könnte.
Allerdings hat der dritte Film des Regie-Exzentrikers (auch) andere Qualitäten. So war es ihm dank eines wesentlich höheren Produktionsbudgets dieses Mal möglich, seine außergewöhnlichen visuellen Einfälle mit ungeahnter Präzision auf die Leinwand zu bringen. Für die Sequenzen im Turm des Alchemisten kann es bspw. nur ein Urteil geben: Brillant! Ein solches Zusammenspiel von Farb- und Hintergrundgestaltung, Perspektive, Bewegung und musikalischer Untermalung hatte das Kino bis dahin noch nicht gesehen. Völlig ohne die heutigen Möglichkeiten der digitalen oder sonstigen Nachbearbeitung komponierte Jodorowsky im sprichwörtlichen Sinn "bewegte Bilder", die auch heute noch die Kinnlade erfahrener Filmfreunde eine Etage tiefer legen dürften. Insbesondere die senkrecht aufgenommenen rituellen Bewegungsabläufe haben in den 30 Jahren nichts an Faszination und Einzigartigkeit eingebüßt.
Leider, leider kann der Film dieses Niveau visuell beeindruckender Qualität nicht über die volle Länge durchhalten und verliert sich mit zunehmender Laufzeit (bzw. im Mittelteil) dann doch allzu sehr in der Vermittlung esoterischer Ideen, für deren Verständnis es schon mehr als einer leisen Ahnung der Materie bedarf. Was eine Interpretation der einzelnen Symbole en détail angeht, sage ich mal, man sollte seine Grenzen kennen, und deshalb versuch ich mich besser gar nicht erst an einer umfassenden Deutung. Als Beispiel für die Komplexität sei hier exemplarisch nur einmal der erste Auftritt des Diebs beschrieben... ... mehr zum Film (Spoiler!) ...
Wer sich fragen sollte, was für ein Mensch hinter dieser beispiellosen Symbolorgie steckt, für den fassen wir einfach noch mal zusammen: Wir haben es hier mit einem Filmemacher zu tun, der sich über Jahre mit allen nur erdenklichen philosophischen und spirituellen Lehren beschäftigt, seine Eindrücke nun unter dem Einfluss bewusstseinsverändernder Drogen in Filmform verarbeitet hat und es dank seiner klassischen Pantomimen-Ausbildung außerdem noch versteht zusätzlich jede kleine Bewegung mit Bedeutung zu füllen. Noch Fragen?
Aber Mystiker Jodorowsky bedient sich nicht einfach nur bei Kabbala, Tarot, Astrologie oder den Weltreligionen, sondern formt seinen persönlichen Überzeugungen entsprechend aus den Zutaten ein neues Ganzes. Dabei scheint z.B. denjenigen Kritikern, die The Holy Mountain seinerzeit vereinfachend als Alchemisten-Kino bezeichnet haben, entgangen zu sein, dass die Figur des Alchemisten zwar eine Schlüsselrolle im Film spielt, die klassische Aufgabe der Alchemie für ihn aber jede Bedeutung verloren hat. Die höchste Form der Transmutation, die Herstellung von Gold, beherrscht er bereits, und er hat offensichtlich auch erkannt, dass es höhere Ziele gibt. Eine Abkehr vom typischen esoterischen Gedankengut, die sich im Finale fortsetzen soll.
Der erste Teil setzt sich vornehmlich kritisch mit dem institutionalisierten Christentum auseinander. Eingeleitet wird dieser Abgesang durch eine umgekehrte Passionsgeschichte, in der der regungslose, mit Fliegen bedeckte Körper eines Diebes in einer Kreuzigungszeremonie wiederbelebt wird und der äußerlich an Jesus Christus erinnernde Mann wenig später ein Kreuz untypischerweise von rechts nach links über den Bildschirm trägt. Mit Alkohol wird er von Vertretern der römisch-katholischen Kirche betäubt, die ihn in der Haltung des Gekreuzigten arrangieren und einen Gipsabdruck von seinem Körper nehmen. Als er erwacht, findet er sich in einem Raum voller Abbildungen seiner selbst wieder, worauf er die Götzenbilder zerstört und die Schuldigen ganz im Stil der im Neuen Testament berichteten Vertreibung der Händler und Kaufleute aus dem Tempel zur Verantwortung zieht. Nicht 12 Apostel, sondern 12 Prostituierte schließen sich ihm an, bevor er in einer heruntergekommenen Kirche eine von Würmern zerfressenden Bibel findet und unter einer versifften Bettdecke einen unverständlich keifenden Mann mit Bischofsmütze entdeckt, der sich an eine lebensgroße Abbildung des Gekreuzigten kuschelt. Eine Interpretation sollte nicht schwer fallen.
Die Gier nach Gold lockt in schließlich in den Turm des Alchemisten, wo seine Vorbereitung auf die Reise zum heiligen Berg beginnt. Dass Jodorowsky ein kundiger Fachmann der verschiedensten spirituellen Richtungen ist, zeigt sich bspw. in detailgenauen Darstellung des Transmutationsprozesses: Der Alchemist überführt die Exkremente des Diebes zunächst gemäß der aristotelischen Vorstellung der "prima materia" in schwarze Urmaterie, um sie dann von diesem qualitätslosen Ausgangszustand in das Edelmetall zu verwandeln.
You are excrement. You can change yourself into gold.
- Alchemist.
Mit diesem Angebot beginnt der eigentliche Initiationsritus (ein sich wiederholendes Element in den Filmen Jodorowskys), in dem der Dieb in die Geheimnisse des Tarot eingewiesen wird. Damit ist in diesem Fall aber nicht die Kunst des Kartenlegens bzw. -lesens, sondern die dahinterstehende Weisheit der uralten Lehre gemeint. So stattet der Alchemist ihn mit dem Stab ("to know"), dem Schwert ("to dare"), dem Kelch ("to want") und einer Münze ("to be silent") aus und fasst ihre Bedeutung jeweils mit einem Wort zusammen. Bei diesen vier Gegenständen handelt es sich um Sinnbilder der vier Kategorien der sog. "kleinen Arkana".
Im Anschluss stellt der Alchemist ihm nacheinander die weiteren Begleiter auf der Reise zum heiligen Berg vor. Jeder von ihnen symbolisiert einen Planeten. Fon, ein Kosmetikhersteller von der Venus. Isla, eine Waffenhändlerin vom Mars. Der Kunstproduzent Klen vom Jupiter. Sel, eine Herstellerin von Kriegsspielzeug im Zeichen des Saturn. Berg, der ekonomische Berater eines Dikators vom Uranus. Axon, Chef der Militärpolizei vom Neptun. Und schließlich der Architekt Lut vom Pluto. Sie alle sind ebenfalls Diebe, wenn auch jeweils auf einem anderen Level.
You have power and money. But you are mortal. You know you can not escape death. But inmortality can be obtained.
- Alchemist.
Die Vorstellungen der Planeten sind meiner Meinung der vielleicht größte Schwachpunkt von The Holy Mountain. Sie sind gemessen an ihrer Bedeutung für die eigentliche Handlung ziemlich weitläufig, und auch wenn sie in ihrer Gesellschaftskritik der Zeit zum Teil weit voraus waren (z.B. Schönheitswahn- und chirurgie), leiden die Bilder darunter, dass sich Jodorowsky hier bei den futuristischen Szenen zu sehr auf kontemporäre Einflüße eingelassen hat. So wirken einige Szenen statt wie geplant grotesk am Ende eher albern.
Der Alchemist erzählt der Gruppe vom Heiligen Berg, auf dessen Gipfel der Überlieferung nach neun Unsterbliche leben, die um das Geheimnis des ewigen Lebens wissen. Er wisse, wo dieser Berg zu finden sei und gemeinsam könne man den Unsterblichen ihr Geheimnis entreißen. Bevor sie aber zu dieser Reise aufbrechen, müssen sie die Stufe des kollektiven Daseins erreichen, in dem sie sich in einer rituellen Gruppenerfahrung u.a. aller materiellen Werte entledigen und sprichwörtlich das eigene Ego verbrennen müssen. Diese spirituelle Vorbereitung wird nach Kirchenkritik, der Initiation des Diebes und der Vorstellung der Planeten im vierten Abschnitt des Films geschildert, an dessen Ende die Pilger im Stil und ausgestattet wie eine Polarexpedition zum heiligen Berg aufbrechen.
Am Ziel angekommen und wartet eine finale physische und psychische Herausforderung auf sie. Nach dem beschwerlichen Aufstieg durch vereiste Bergkluften und der Überwindung des letzten Plateaus, bei der sie mit Angstvisionen ihres eigenen Todes konfrontiert werden, wartet der Gipfel auf sie - und das Geheimnis der Unsterblichkeit. ... mehr zum Film (Spoiler!) ...
Warum so ein sperriges Werk, wo es nach dem Erfolg von El Topo und mit der neuen Produktionsfirma im Rücken doch ein Leichtes gewesen wäre, sich für ein breiteres Publikum zu öffnen? Die Idee für The Holy Mountain entstand unter dem Eindruck seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten. Von berühmten Fürsprechern für John Lennon, George Harrison oder Andy Warhol als neuer Heilsbringer der Avantgarde gefeiert, sah sich Jodorowsky plötzlich in der Rolle des Gurus. Und genau dies machte er zum Gegenstand seines Films, in dem er selbst in die Rolle des Alchemisten schlüpfte. Inhaltlich beschäftigt sich The Holy Mountain mit der gleichen Grundthematik, die bereits El Topo geprägt hatte und damals wie heute zu Jodorowskys Vorlieben gehört: die Suche nach Erleuchtung, dem Sinn des Lebens, die er hier allegorisch als Pilgerfahrt zum Heiligen Berg beschreibt.
Dass es sich dabei in der Tat wie im Film behauptet um ein klassisches Motiv handelt, zeigt sich nicht zuletzt in der Tatsache, dass das Publikum immer wieder die unterschiedlichsten Einflüsse und Vorlagen in Jodorowskys Geschichte wieder zu erkennen glaubten. Sei es nun Herman Hesses "Die Morgenlandfahrt", René Daumals "Le Mont Analogue" Tolkiens "Lord of the Rings" oder schlicht die altbekannte Mär von der Suche nach dem heiligen Gral. Der Spiritualist selbst bezieht sich u.a. auf "The Ascent of Mount Carmel" von St. John of the Cross, einem Buch in dem der Theologe eine Art mystischen Leitfaden zur spirituellen Erfüllung verfasste, sowie auf den heiligen Berg der Taoisten, das Motiv vom Berg der Philosophen oder auch den Berg Muru/Sumuru der buddhistischen Lehre. Prinzipiell ließe sich diese Liste aber schier endlos fortsetzen.
Natürlich blitzt auch immer wieder Jodorowskys schräger und oft gewöhnungsbedürftiger Sinn für Humor durch. Das Resultat sind dann Bilder, die weniger eine Message transportieren, sondern einfach nur skurille Situationen präsentieren. Ein gutes Beispiel dafür wäre die Szene, in der die Frau von Bert (Planet Uranus) auf einer viel zu hohen Toilette sitzt und sich über die ihrer Meinung nach unangebrachte Größe eines eh schon kleinen Fensters beschwert. Ein typischer Jodorowsky-Einfall, der ihm vermutlich irgendwann in den Sinn gekommen und hier seine Umsetzung gefunden hat. Ebenso wie die Darstellung der Bösartigkeit als schwarzes Suppenhuhn, das man dem Dieb aus einem Geschwür am Nacken ziehen kann, oder die bizarre Nachstellung der Eroberung Mexikos mit Kröten als spanischen Invasoren und Chamäleons in der Rolle der Mayas.
Jodorowsky hat nicht eine Vorliebe für Italowestern, der er in El Topo ja bekanntlich ausgiebig gefrönt hat, sondern auch für das asiatische Actionkino. Diese Eastern-Einflüsse, die man im Vorgänger bereits ein klein wenig im Kampf mit dem vierten Meister erahnen konnte, treten hier im Duell zwischen dem Dieb und dem Alchemisten offen zu Tage. Überhaupt erinnern die Szenen im Turm des Alchemisten an die im Eastern beliebten Einleitungssequenzen, in denen von einem ebensolchen leeren, unbestimmten Hintergrund verschiedene Kampfstile vorgestellt werden. Ein berühmtes Beispiel wäre der fünf Jahre später entstandene Shaw Brothers-Klassiker Die 36 Kammern der Shaolin (Shao Lin san shih liu fang, 1978).
Wie im Review zu El Topo bereits angesprochen war The Holy Mountain der Sargnagel für die eigentlich erst gerade zustande gekommene Geschäftsbeziehung zwischen Produzent Allen Klein und Filmemacher Alejandro Jodorowsky. Mit Blick auf den Vorgänger hatte Klein eigentlich einen zwar optisch außergewöhnlichen, aber inhaltlich zugänglicheren Italowestern erwartet. Stattdessen präsentierte ihm Jodorowsky eine kryptische Symbolorgie. Die Begeisterung des für seinen knallharten Geschäftssinn berüchtigten Beatles-Managers dürfte sich entsprechend in Grenzen gehalten haben.
Hinzu kommt, dass The Holy Mountain trotz des sicher vorhandenen Skandal- und damit Publicity-Potentials bei seiner Präsentation in Cannes völlig unterging, da das Filmfest ganz im Zeichen der hitzigen Diskussionen um Marco Ferreris Das große Fressen (La grande bouffe, 1973) stand. Als Klein dann auch noch die US-Verleihrechte für Ferreris Schlemmerstreifen kaufte und sich der vermeintliche Kassenschlager als finanzielles Debakel für ABKCO entpuppte, scheute der Geschäftsmann das Risiko einer groß angelegten Veröffentlichung von Jodorowskys ebenfalls am Mainstream vorbeiproduziertem Werk. Stattdessen präsentierte er The Holy Mountain genau wie zuvor El Topo lediglich im Rahmen von Mitternachtsvorstellungen, in denen der Film allerdings recht erfolgreich in die Fußstapfen seines Vorgängers treten konnte, der im Allgemeinen als die Mutter als Midnight Movies angesehen wird.
Um den genauen Auslöser, der schließlich zur Eskalation der Auseinandersetzung zwischen Klein und Jodorowsky geführt hat, kursieren die unterschiedlichsten Gerüchte. In der Konsequenz ging natürlich stets um die Veröffentlichungspolitik von ABKCO und den Umgang von Klein mit den Rechten an El Topo und The Holy Mountain, die er beide mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bis zum Ende aller Tage (oder zumindest der des Filmemachers!) unter Verschluss halten wollte.
Wie im August letzten Jahres in der kanadischen Filmzeitschrift The Eye nachzulesen war, ließ Jodorowsky im Interview verlauten, er habe sich nun doch endlich mit Klein einigen können. Und wie so oft im Filmbiz scheinen es finanzielle Gründe gewesen zu sein, die die Menschen sowohl entzweit, wie auch schlussendlich wieder zusammengebracht haben...
In every part of the world, they're speaking about my old pictures because I made peace with Allen Klein. Now we are friends. We saw we could make a profit, and we came to a friendly solution.
- Alejandro Jodorowsky.
Seit dem stehen offizielle Re-Releases der beiden bekanntesten Filme Jodorowskys nicht nur im DVD-Format, sondern sogar auf der großen Leinwand im Raum (letzteres aber wenn überhaupt wohl nur im kleinen, sprich nordamerikanischen Rahmen). Trotzdem, endlich eine Veröffentlichung in brillanter Bild- und Tonqualität vom Original Master? Man mag es kaum glauben. Aber allein der Umstand, dass diese Option überhaupt im Raum steht, lässt zumindest hoffen, dass die Negative nicht, wie von Jodorowsky oft vermutet hat, von Klein vernichtet worden sind...
Ihre Spuren haben Jodorowsky und sein heiliger Berg aber übrigens trotz der eingeschränkten Erhältlichkeit in der Filmwelt hinterlassen. Im Kino blitzte der Stil Jodorowskys bspw. zuletzt bei The Cell (2000) durch - auch wenn Tarsem Singh aus dem monströsen Vorbild nicht mehr als ein schickes Nichts gemacht hat. Die visuelle und akustische Orientierung war unüberseh- und hörbar, und mit der Verwendung einer Szene aus dem von Panicker Roland Topor gestalteten Der phantastische Planet (La planète sauvage, 1973) enthielt der Film sogar einen offenen Verweis auf das Panic Movement.
Die Dreharbeiten zu The Holy Mountain inszenierte Jodorowsky einmal mehr als spirituelle Erfahrung. Einen Monat vor Drehbeginn bereitete er sich gemeinsam mit den übrigen Darstellern in einer Wohngemeinschaft auf die Aufnahmen vor, um die für den Film geforderte Ebene des kollektiven Erlebens wirklich zu erreichen. Man sagt die Gruppe habe neben der Meditation in dieser Zeit ausgiebig mit bewusstseinserweiternden Drogen experimentiert. Da Jodorowsky selbst zudem unter Anleitung eines Zen-Meisters zur inneren Vorbereitung eine Woche Schlafentzug praktiziert haben soll, darf man wohl zweifelsohne feststellen, dass er auch im Hinblick auf die Vorbereitungen noch einen Schritt weiter als bei El Topo gehen wollte. Seine Art des Filmemachens beschreibt Jodorowsky (wie auch jede andere Form des künstlerischen Ausdrucks) gerne als psychomagischen Akt, was ohne auf die von ihm zugrunde gelegten Theorien genauer eingehen zu wollen etwa soviel bedeutet, wie eine den Künstler und den Zuschauer verändernde Auseinandersetzung mit seinem Werk. Nun, wenn er selbst schon die Nähe zum therapeutischen Prozess herausstellt, bietet dieser Bezug auch gleich einen guten Ansatzpunkt, um auf das grundlegende Problem von The Holy Mountain einzugehen.
In der Psychotherapie gilt unabhängig von der schulischen Ausrichtung der allgemeine Grundsatz, den Klienten immer dort "abzuholen", wo er sich zum Beginn der Therapie befindet. D.h. man sollte immer die Ausgangslage eines Menschen berücksichtigen, inklusive seiner Fähigkeiten & Einschränkungen, was Denken, Fühlen und Handeln betrifft. Überträgt man dieses Konzept nun aber auf das Medium Film und wendet das Prinzip auf Jodorowskys psychomagischen Akt an, so muss man ganz eindeutig feststellen, dass The Holy Mountain die Ausgangssituation des Zuschauers im Grunde völlig ignoriert. Eigenwilligkeit ist eines der Markenzeichen Jodorowskys, und der bewusste Bruch mit cineastischen Konventionen erschwert den Zugang. Dieser heilige Berg denkt nicht daran zum Propheten zu kommen. Statt sein Publikum zu suchen, verlässt sich Jodorowsky darauf, dass das (passende) Publikum ihn findet. Das Problem: Bei all der spirituellen Symbolik und einer solch speziellen Thematik hält sich die Schar kompatibler Zuschauer in überschaubaren Grenzen.
Wohlmöglich funktioniert El Topo in dieser Hinsicht deshalb besser, weil er mit seiner an den klassischen Italowestern angelehnten Optik zumindest auf den ersten Blick noch die trügerische Sicherheit suggeriert, man hätte es vielleicht doch mit einem herkömmlichen Genrefilm zu tun. Damit führt Jodorowsky den Zuschauer zwar, wenn man so will, aufs Glatteis, aber selbst das ist eine Art, auf das Publikum zuzugehen, die man hier vergeblich sucht. The Holy Mountain ist in jeder Hinsicht Over-the-Top. Oder wie es der Kritiker Bruno Di Marino im positiven Sinne formuliert hat: "Der Regisseur hat kein Angst davor jede Einstellung bis zur Redundanz zu überladen." Aber diese Furchtlosigkeit bewahrt ihn nicht vor den Konsequenzen...
Die atemberaubende Optik allein kann daran nur wenig ändern. So hatte ich bspw. das zweifelhafte Vergnügen, den Film beim ersten Mal auf der großen Leinwand, aber in der italienischen Sprachfassung ohne Untertitel und damit quasi auf den rein visuellen Aspekt reduziert zu erleben. Ihr könnt mir glauben, so beeindruckend dieser Aspekt anfangs auch sein mag, das allein konnte nicht verhindern, dass am Ende wirklich Sitzfleisch gefragt war. Bei aller Begeisterung für Jodorowsky (und auch The Holy Mountain) waren dies rückblickend vermutlich die anstrengendsten 115 Minuten, die ich je in einem Kino zugebracht hab.
Ob man diese Schwäche nun als Fehler betrachtet oder den Film einfach als sehr speziell versteht, bleibt jedem selbst überlassen. Fasst man es als Fehler auf, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass er Jodorowsky nicht versehentlich unterlaufen ist. Dass es auch anders geht, bewies er 15 Jahre später mit Santa Sangre (1989).
Näheres zur Person Jodorowskys gibts im Review zu El Topo und der (anstehenden) Besprechung von Santa Sangre, bei der es aufgrund des reichlich vorhandenen Bonusmaterials der Anchor Bay-Veröffentlichung Sinn macht, noch einmal genauer auf den Künstler und Menschen einzugehen. An dieser Stelle sei lediglich erwähnt, dass Jodorowsky in The Holy Mountain zwar mehr Unterstützung hatte, aber dennoch neben Buch und Regie auch federführende Kraft bei Schnitt, Szenenbild, Kostümen und Skulpturen war. Außerdem hatte er wie schon bei El Topo Anteil an der musikalischen Untermalung.
Horácio Salinas (der Dieb) spielte ab Mitte der 60er Nebenrollen in einigen kleinen mexikanischen Produktionen, bei denen es sich größtenteils um wenig anspruchsvolle Komödien handelte. Als Schauspieler war er nach The Holy Mountain zwar nur noch in zwei Kurzfilmen zu sehen, begann dafür aber Ende der 80er/Anfang der 90er als Komponist für eine Reihe chilenischer Filme zu arbeiten. Ana de Sade (was ein Name!), die hier die Prostituierte im Schlepptau des Diebes spielt, trat später noch im zweiten und dritten Teil der Man Called Horse-Reihe (Der Mann, den sie Pferd nannten, Teil 2., Der Triumph des Mannes, den sie Pferd nannten) sowie dem Ringo Starr-Film Caveman - Der aus der Höhle kam (1981) auf.
Abgesehen vom drei Jahre später entstandenen The General's Daughter (De todos modos Juan te llamas, 1976) blieb es auch für den mexikanische Schauspieler Juan Ferrara (Fon) der einzige Ausflug ins internationale Filmgeschäft. Ansonsten trat er vor allem in einheimischen TV-Serien auf und ist bis heute für das mexikanische Fernsehen tätig ist. Ebenso unternahm Burt Kleiner (Klen) nach The Holy Mountain nur noch einen Abstecher ins Filmbiz, und zwar mit dem von ihm co-produzierten Troma-X-Mas-horror Teuflische Weihnachten (You Better Watch Out, 1980), in dem er auch eine kleine Nebenrolle übernahm. Der einzig erwähnenswerte Eintrag in der überschaubaren Filmographie von Adriana Page (Isla) ist wohl ein ungenannter Auftritt als Nebendarstellerin in Michael Curtizs Kriegsdrama Keinen Groschen für die Ewigkeit (Force of Arms, 1951).
Valerie Jodorowsky (Sel) war wie der Name schon vermuten lässt die (damalige) Ehefrau von Alejandro, womit der Filmemacher seiner Vorliebe, Familienmitglieder zu besetzen treu geblieben wäre. Ihren ersten Einsatz als Aktrice hatte sie in Jodorowskys Debüt Fando y Lis (1967). Abgesehen von den Filmen ihres Mannes zeigte sie aber keinerlei Schauspielambitionen. Gleiches gilt für Zamira Saunders (The Written Woman), Nicky Nichols (Berg) und Luis Loveli (Pluto).
Der interessanteste Vogel unter den Darstellern ist Richard Rutowski (Axon), der in The Holy Mountain sein Schauspieldebüt abgab. Er arbeitete ab 1991 im Dunstkreis von Oliver Stone, hatte kleinere Auftritte in The Doors (1991), JFK - Tatort Dallas (1991), Natural Born Killers (1994) und U-Turn (1997), agierte aber bspw. auch als Produktionsassistent bzw. ausführender Produzent bei Zwischen Himmel und Hölle (Heaven & Earth, 1993), Nixon (1995) und An jedem verdammten Sonntag (Any Given Sunday, 1999). Im Fall von Natural Born Killers war er nicht nur als Produktionsmitglied und Akteur beteiligt, sondern bekam auch Co-Credits für das Drehbuch.
Von der El Topo-Crew waren neben den Darstellern David Silva (Fons Vater), José Antonio Alcaraz (Besitzer der Pantheonbar) und Pablo Leder (Zirkusmanager) auch Jodorowskys Hauskameramann Rafael Corkidi wieder mit dabei. Sein alter Weggefährte Roberto Viskin agierte hier gemeinsam mit Allein Klein und Robert Taicher (The Rainbow Thief) als Co-Produzent, und auch Tonmann Gonzalo Gavira und Art Director José Durán waren wieder mit von der Partie, wurden nun aber von weiteren Mitarbeitern unterstützt.
Raro Video haben The Holy Mountain sowohl einzeln als auch gemeinsam mit El Topo in der schicken Double-Box herausgebracht. Wie El Topo wurde auch The Holy Mountain für das Boxset noch einmal remastered, die Bildqualität der DVD bewegt sich aber trotzdem lediglich auf mittelprächtigem VHS-Niveau, was allerdings kein Grund zur Kritik sein sollte. Wer den Film möglichst so erleben möchte wie er vom Regisseur ursprünglich gedacht war, der kommt bislang an dieser Veröffentlichung nicht vorbei; denn im Gegensatz zu den in den Nacktszenen geblurrten japanischen Veröffentlichungen, haben die Italiener den Versuch unternommen, den Film in seiner unzensierten Fassung wiederherzustellen. Auch wenn dies auf Kosten einiger Schnitte im Vergleich zur Originalfassung geschehen ist, muss man das Resultat angesichts der ungünstigen Ausgangslage mit nicht zur Verfügung stehenden Masterbändern und unsicherer Rechtslage als durchaus gelungen werten. Wie gesagt, vielleicht gibt es ja nach der Versöhnung von Klein und Jodorowsky doch noch die Aussicht auf eine vollständige Veröffentlichung in brillanter Bild- wie Tonqualität. Bis dahin stellt diese DVD wohl die bestmögliche Alternative dar.
Auf der DVD enthalten sind die italienische und die englischen Originaltonspur, optional mit italienischen Untertiteln. Insbesondere da es keine zuschaltbaren englischsprachigen Untertitel gibt, könnte die Tonqualität zwar wirklich einen Tick besser sein, aber wenn man sich erst einmal an Jodorowskys spanischen Akzent gewöhnt hat, läßt sich der Handlung relativ gut folgen. Auf dem in der Box enthaltenen Silberling gibt es als Bonus lediglich einen zweiten Teil des von der El Topo-DVD bekannten Interviews mit dem italienischen Filmkritikers und Jodorowsky-Buchautor Massimo Monteleone, in dem er einige interessante Hintergrundinfos zum Film und den Dreharbeiten liefert. Desweiteren enthält die Box ein über 60 Seiten dickes zweisprachiges Booklet, in dem neben zahlreichen Abbildungen auf Jodorowskys Biographie sowie die beiden Filme eingegangen wird. Da aber sämtliche Texte in englischer und italienischer Sprache abgedruckt sind, schrumpft der Umfang natürlich deutlich zusammen.
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