(Ein Kurzreview von Carsten Henkelmann)
Eine Frau erwacht nach 4 Jahren aus dem Koma und startet einen blutigen Rachefeldzug gegen ihre früheren Peiniger...
Die Story selber ist schnell erzählt, denn dieser Film ist eigentlich eine riesige Homage an das Martial Arts, Exploitation und Italo-Western Kino der 60er und 70er Jahre. Schon allein das das "Shaw Scope" Logo ganz zu Beginn dem Zuschauer entgegen strahlt ruft wohlige Erinnerungen an die guten alten Martial Arts Filme aus Hongkong wach und so findet man im Laufe des Films zigtausend Anspielungen an Filme die die 60er und 70er Jahre prägten. Da verwundert es auch nicht, dass alte Helden wie Sonny Chiba in Nebenrollen zu sehen sind.
Ganz unabhängig davon, ist KILL BILL auf der technischen Seite ganz hervorragend umgesetzt. Schon allein die langen Kamerafahrten und das vermischen von verschiedenen Stilen sind eine Wonne fürs Auge. Und wer bitte schön käme außer Tarantino auf die Idee, eine brutale Anime-Sequenz mit Musik zu unterlegen, die direkt aus einem Italo-Western von damals entsprungen sein könnte? Das klingt zunächst total bescheuert, aber unglaublicherweise passt das 100%ig zusammen.
Zwar besteht KILL BILL zum größten Teil auch aus, teilweise sehr blutigen, Kampfszenen, aber im Gegensatz zu dem aufgesetzten Müll in MATRIX RELOADED nervt die ganze Klopperei zu keiner Sekunden, sondern es ist einfach nur "Violent Fun".
Jetzt mal eine grobe Liste, welche Filme ich so beim Betrachten von KILL BILL "entdeckt" habe:
Die Filme von Bruce Lee, die Filme von Akira Kurosawa, 36 Kammern der Shaolin, Samurai Fiction, Green Hornet, Master of the Flying Guillotine, Okami...
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15.05.2007, 17:37:33 Dietmar Kesten
KILL BILL: VOLUME 1
PROVOKATION ODER UNSINN?
von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 19.
OKTOBER 2003.
Quentin TARANTINO legt mit „Kill Bill: VOLUME 1“ seinen vierten Film vor. Nach „Reservoir Dogs“ (1992 ),“Pulp Fiktion“ (1996) und „Jackie Brown“ (1998) hat er nun einen Actionsthriller gemacht, der vorab viele Vorschusslorbeeren erhalten hat, und selbst als „kompromisslosestes, meisterliches und bestes Werk“ (so Dirk JASPER in seinem Online-Filmlexikon) gefeiert wird. Ist er das? Zum Inhalt: Uma THURMAN, die man nur die ‚Braut’ („The Bride“) nennt, liegt seit einigen Jahren im Koma. Als sie wieder erwacht, kennt sie nur ein Ziel: Rache!! Sie spürt den Attentätern ihrer Hochzeitsgesellschaft nach. Und sie will Vergeltung üben. An denen, die fast ihren Tod verantwortet hätten, an ihren einstigen Freundinnen und Weggefährtinnen, die sie mit einer Kugel im Kopf um ihren Verstand brachten und sie einfach wie ein weggeworfenes Ding liegen ließen. Rache an ihrem Ausbilder und Chef Bill, der sie liebte und den Auftrag für ihre Beseitigung gab. Mit Wut im Bauch und kopflos stürmt sie als Schwertkämpferin voran und bereitet einen Rachefeldzug vor, der keine Gnade kennt.
Gut drei Stunden lang wird TARANTINO das Ziel verfolgen, Uma THURMAN mit dem Schwert in der Hand bei ihren seriellen Metzeleien zu begleiten. In Part One beginnt das Massaker, und es wird sich im nächsten Jahr blutig fortsetzen. Ist der neue Film tatsächlich eine Hommage an die Kung-Fu Filme, eine Danksagung an das Martial Arts Kino, an die Samurai Filme und Spaghetti-Western? Gespickt mit Zitaten und Anspielungen, die aus diesem Genre entnommen sind, der alten japanischen Philosophie über Tod, Rache und Gewalt entlehnt werden, holt TARANTINO zu einem Projekt aus, dass er selber als „Wut einer Mutter“ und „Greatest-Hits-Sammlung“ (Interview mit „Die Zeit“ vom 9. Oktober 2003) der „Actions-Unterhaltung“ (ebd.) bezeichnet hat. Mit viel Gewalt, die Uma THURMAN als Killerin zeigt, will TARANTINO nun das einlösen, was die asiatische Kultur- und Kinogeschichte zur Kunstform machte.
Und mit den unreflektierten Begriffen von ‚Ehre’ und ‚Rache’ macht er sich daran, blutige Vergeltung in Szene zu setzen, bei der sich einem der Magen umdreht. Man fragt sich, was TARANTINO bezweckt! Waren seine Vorgängerfilme tatsächlich Kult, in denen er sein ganzes Können aufbot, um realistische Szenen und Charaktere rüberzubringen, so kann der bluttriefende Siegeszug mit abgetrennten Köpfen, Gliedmaßen, quellenden Eingeweiden und Blut, das aus den Körpern wie eine Wasserfontäne spritzt, wahrlich nicht in den Kultstatus emporgehoben werden. Sein Actions-Kino ist die plumpe Wiederholung all der Streifen, die mit fulminanten Waffenarsenalen angetreten sind, die in den Händen der Superhelden gelegt, die Welt retten sollen, oder um ihrer Ideologie zu folgen, aus einer inhumanen Welt eine humanere zu machen.
Dazu dient ihr der Mechanismus der Gewalt, die die Brutalität sanktioniert und als gesellschaftlich reales Ereignis ständig wiederbelebt wird. TARANTINO hackt sich nur eine Schneise durch den Film, der mit einem Mord beginnt und auf einem Schlachtfeld endet, das unsere Killerin als Siegerin verlässt. In den wenigen ruhigen Szenen sehnt man sich bereits nach einer halben Stunde danach, es möge so bleiben. Doch der einstige Kultregisseur kennt keine Gnade; denn sein Blutrausch geht nun erst richtig los. Mit Panik, Todesangst und von einem psychischen Trauma beseelt, entwaffnet die Heldin nicht nur ihre Widersacher, sondern auch die Kinobesucher, die sie mit einem Samurai-Schwert verfolgt und zum Glück nicht massakriert.
Hatte noch RODRIGUEZ in „Irgendwann in Mexiko“ (2003) gezeigt, dass seine pointierte Handlungskulisse im dialektischen Umschlag von objektiver dramatischer Ironie gipfelt, und das sein gewaltiger Bilderbogen Grausamkeiten allenfalls als modische Glättung inszenatorisch zur Geltung, ja ins Spiel bringt, so ist TARANTINO davon weit entfernt. Die Verquickung von Aggressionen und Brutalität ist im Film sicherlich die letzte Widerspiegelung der strukturellen Gewalt in Staat und Gesellschaft. In diesem Spiegel betrachtet, kann man in ihm sämtlichen Unsinn abliefern, der einem vors Objektiv kommt. Allerdings sollte der Spaß dort aufhören, wo man das gesamte Gewaltpotential als Obsession versteht. „Kill Bill“ und die handelnde Requisitenkammer mit der Verdoppelung der ‚Smith-Agenten’ aus „The Matrix Reoladed“ (2003) ist nichts anderes als die Auslotung von sadistisch-masochistischen Alltagsritualen der alten fernöstlich-höfischen Kaiserdynastien und ihrer zerstörerischen Selbstreflexionen. Das ist keine Kunst, sondern pervers verhärtet.
TARANTINO fällt weite hinter seinen Möglichkeiten zurück. Für ihn mag „Kill Bill“ eine Selbstbestätigung sein. Da die Welt voller Gewalt ist, könnte man den Film als ins System passend interpretieren, oder als Synthese für die Legitimation der Gewalttaten, die um uns herum lauern, verstehen lernen. Selbst dem mag ich nicht zu folgen. Da die fragwürdigen Begriffe von ‚Ehre’ und ‚Rache’ ebenso im Mittelpunkt stehen wie die radikalen Säbelgefechte, ist er jenseits jeder Moral, nur der eigenen Professionalität verpflichtet. Der ‚Meister’ hat sicherlich viel Wert auf die Kulisse, auf das Honkong-Kino gelegt. Dieser Griff ist wenig erfolgreich, da er diese Codes ständig zerstört. Seine Schauspieler sind statische Figuren, die sterben oder einfach verschwinden. Sie haben keinen Charakter, da sie nur zum Kampf und zum töten bestellt sind. Uma THURMAN, die ihre besten Filme mit „Pulp Fiction“ (Regie: Quentin TARANTINO, 1994 und „Gattaca“ (Regie: Andrew NICCOL, 1997) hatte, symbolisiert Frauenpower an der falschen Stelle.
Sie ist keine reinigende gesellschaftliche Kraft, zwar die einzige Figur, die sich durch das Erlebte verändert, doch mit beiden Beinen dem kämpfenden Matriarchat verbunden bleibt. Mit ihrem schwarz-gelben Motorradanzug schaut sie wie eine geläuterte Christiane F. aus dem Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (Regie: Ulrich EDEL, 1981) aus. Sie zeigt die Welt aus ihrer Sicht, die ein Planquadrat ist, auf dem sich die abgeschlagenen Gliedmaßen bestens verteilen lassen. Ihr Auftritt hat nichts mehr gemein mit der bildfüllenden Totale aus „Pulp Fiction“ an der Seite von John TRAVOLTA. Im Showdown tötet sie ihre Rivalin O-Ren Ishi (Lucy LIU) während ihr Kimono aufdeckt, was verbreitet wird: der ritualisierte Antagonismus geht in Volume 2 weiter. Mit seiner distanzlos eingesetzten brutalen Waffengewalt wird der Film zur Oberfläche und in seinen meisten Szenen zu einem schlichten Selbstzweck.
Das Objekt der Verehrung verkommt bei TARANTINO zu einem Manifest des Horrors von ekelerregenden Szenen. „Kill Bill“ ist kein Kult. Er ist verwerflich, bösartig, raubeinig, grobschlächtig und sollte in die untergehenden Epoche des Martial-Arts Kino eingeordnet werden. „Tiger&Dragon“ (Regie: Ang LEE, 2000) und „Hero“ (Regie: Zhang YIMOU, 2003) sind als Gegenpart eine Augenweide und faszinierend. Sie zeigen Tradition in zeitloser Schönheit. Die klassischen Augenblicke dieser Filme sind als Referenz an dieses Genre sehenswerter als die Transformation der flüchtigen Morde von TARANTINO.