Film Daten

Titel:
Der Golem
Originaltitel:
Der Golem, wie er in die Welt kam
Land & Jahr:
Deutschland 1920
Laufzeit ca.: ?
86 Min.
Regie:
Carl Boese
Paul Wegener
Darsteller:
Paul Wegener
Albert Steinrück
Lyda Salmonova
Ernst Deutsch
Hans Stürm
Max Kronert
Otto Gebühr
Dore Paetzold
Lothar Müthel
Greta Schröder
Loni Nest
Carl Ebert
Fritz Feld
Alternativtitel:
• Golem, The
• Golem: How He Came Into the World, The
Weitere Infos:
IMDB  OFDB

DVD Daten

DVD Cover - Transit Film
Label:
Transit Film
Regionalcode / Norm:
2 / PAL
Bild / Zeit:
1.33:1 / 84:36
Sprachen/Ton:
Deutsch - Dolby Surround
Untertitel:
-
Extras:
  • Dokumentation: "Das Königreich der Geister - Paul Wegeners Der Golem und die expressionistische Tradition"
  • Bildergalerie
  • Booklet mit Liner Notes

Der Golem

(Ein Review von Carsten Henkelmann)

Im 16. Jahrhundert soll auf Befehl des Kaisers das Prager Judenghetto geschlossen werden und die Juden haben das Land zu verlassen. In seiner Not ruft Rabbi Löw (Albert Steinrück) übernatürliche Kräfte herbei und erweckt mit ihrer Hilfe den aus Lehm gebauten Golem (Paul Wegener) zum Leben. Während einer Audienz beim Kaiser kommt es zu einem Unglück und nur durch die starken Kräfte des Golems kann schlimmeres verhindert werden. Der Kaiser nimmt daraufhin seinen Befehl zurück und die Juden dürfen bleiben. Der Golem entwickelt langsam aber sicher Widerstand gegen die Anweisungen seines Herrn und Löw muss ihn deaktivieren. Während seiner Abwesenheit bemerkt dann sein Assistent Famulus (Ernst Deutsch), dass Löws Tochter Mirjam (Lyda Salmonova) in der Nacht einen Liebhaber bei sich hatte und erweckt in seiner Eifersucht den Golem wieder zum Leben. Er gibt ihm den Befehl den Liebhaber umzubringen, was dieser auch ausführt. Danach ist der künstliche Mensch aber nicht mehr zu kontrollieren und zieht eine Spur der Verwüstung durch das Ghetto...

Der Golem - ScreenshotDer Golem - Screenshot

Regisseur und Hauptdarsteller Paul Wegener schien ein Faible für die alte Prager Legendengestalt zu haben, denn dies war bereits der dritte Film über die Lehmgestalt, alle von Paul Wegener inszeniert oder mindestens mit ihm in der Hauptrolle. Auch wenn die Gestalt seit dem 16. Jahrhundert Teil der jüdischen Mythologie ist, schrieb Gustav Meyrink in den Jahren 1913 und 1914 seinen Roman, der 1915 veröffentlicht wurde und als Vorlage für diesen Film diente. Im gleichen Jahr entstand dann auch die erste Filmversion, schlicht Der Golem betitelt. Zwei Jahre später folgte dann Der Golem und die Tänzerin, der aber in keiner Relation zum Roman steht, sondern auf einem eigenen Skript von Paul Wegener basiert. 1920 entstand dann in Ko-Regie mit Carl Böse diese Adaption, die seitdem als ein Klassiker der Stummfilmzeit und des deutschen expressionistischen Kinos gehandelt wird. Lyda Salmonova war übrigens Wegeners Ehefrau.

Der Golem (hebräisch für "Klumpen" oder "unförmige Gestalt") ist eine Kreatur, die eine gewisse Nähe zu dem Frankenstein Monster aufweist. Beide sind künstlich entstanden, einer durch magische Kräfte, der andere durch reine Wissenschaft. Beide sind große, klobige, aber bärenstarke Kreaturen, die mit ihrer Grobmotorik sehr schnell Schaden anrichten können und von ihren Erschaffern ab einem gewissen Punkt nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden können. Im Gegensatz zum Frankenstein Monster erlangt der Golem einen gewissen Respekt bei der allgemeinen Bevölkerung, auch wenn eine natürliche Furcht vor ihm vorhanden ist. In der Literatur ist der Golem sicherlich kein Vorbild für das andere Monster gewesen, Mary Shelleys Roman erschien bereits ein Jahrhundert früher. Allerdings dürfte ein gewisser Einfluß des deutschen Films auf den Universal Klassiker mit Boris Karloff nicht abzustreiten sein.

Der Golem - ScreenshotDer Golem - Screenshot

In dem Film geht es darum, dass ein ganzes Volk, die Juden, des Landes verwiesen werden sollen. Das Ghetto in dem sie leben ist durch Mauern und einem enorm hohen Tor von der Außenwelt isoliert. Sie leben in ihrer eigenen Welt und wer von außen hinein möchte, muss an einer Glocke ziehen, damit ihm jemand aufmacht. Der Kaiser will sie vertreiben wegen ihrer angeblichen Taten gegen Jesus Christus. Hier spielt der Film mit Motiven, die kaum 10 Jahre später im dunkelsten Kapitel Deutschlands Realität wurden. Das konnten damals sicherlich weder Paul Wegener noch Gustav Meyrink vorhersehen, läßt dafür aber die Lage in der sich die Bewohner befinden um einiges nachvollziehbarer erscheinen. Der Golem könnte stellvertretend die politischen Maßnahmen darstellen, die sich in solch einer Situation ergeben. Seine Zerstörungswut im letzten Kapitel des Films (von insgesamt fünf) stellt das dar, was durch Revolutionen und Bürgerkriege entstehen kann, wenn sich Unmut und Hass in unkontrollierbaren Hass und Rage verwandeln.

Inszeniert wurde der Film wie eine Art Horrorfilm, allerdings hält sich der Nervenkitzel heutzutage natürlich deutlich in Grenzen. Der Golem selber wirkt nicht gerade schreckhaft, es sind eher seine grausamen Taten, die ihn zu einer Bedrohung werden lassen. Auf der anderen Seite wird auch angedeutet, wie der Golem lernt Emotionen zu entwickeln. ist er zunächst einfach eine massive Gestalt ohne große Reaktionen, sieht man später wie er den Geruch einer Blume wahrnimmt und nähert sich in einer der wohl am meisten in der Filmliteratur abgebildeten Szene gegen Ende des Films einem Mädchen und nimmt es sogar auf den Arm. Auf der anderen Seite wehrt er sich schließlich gegen seinen Erschaffer, will leben und nicht nach Belieben an- und ausgeschaltet werden. Hier zeigt er durchaus menschliche Gefühle, vom Hass bis hin zur Zuneigung.

Der Golem - ScreenshotDer Golem - Screenshot

Der Aufbau des Ghettos hingegen erinnert an das Kino des deutschen Expressionismus, auch wenn Wegener selber einmal gesagt haben soll, dass er seinen Film dem Expressionismus nicht zuordnet. Vergleicht man den Film mit Werken wie Das Cabinett des Dr. Caligari oder Nosferatu, dann mag man ihm durchaus Recht geben. Das Spiel mit Schatten und schrägen Konturen und Perspektiven wird hier nicht so massiv eingesetzt wie in anderen Vertretern aus der zeit. Vorhanden sind sie aber definitiv noch. Vielmehr setzte Wegener auf eine dichte, ja fast schon klaustrophobische Atmosphäre. Die Räume in Löws Haus sind alle sehr klein, eng und verwinkelt. Auch die Straßen des Ghettos lassen nicht viel Platz für große Menschenansammlungen. Stattdessen ziehen sich Gebäude wie auch Stadtmauern in die Höhe. Kameramann Karl Freund arbeitete später auch bei Fritz Langs Epos Metropolis mit und bei dem großen Universal Horrorklassiker Dracula mit Bela Lugosi.

Der Golem bietet eine Darstellung menschlicher Schicksale, die unmittelbar an ein künstliches Wesen geknüpft sind, das wiederrum so unmenschlich-künstlich gar nicht wirkt, sondern durchaus zu eigenen Emotionen fähig ist. Große Spannung baut sich heutzutage nicht mehr auf, allerdings ist es schon erstaunlich zu sehen, welche Möglichkeiten die Filmemacher von damals schon hatten und wie Spezialeffekte zwar billig, aber effektiv umgesetzt wurden. Die allgemeine Atmosphäre des leicht heruntergekommenen und irgendwie bedrückenden Ghettos kommt auch recht gut herüber. Als filmisches Zeitzeugnis ist der Film sicherlich von einem sehr hohen Interesse und bietet einige imposante, aber auch gefühlvolle Szenen.

Der Golem - ScreenshotDer Golem - Screenshot

Liest man sich die Liner Notes im Booklet der DVD durch, grenzt es an ein Wunder, dass der Film nicht längst als verschollen gilt. Die einzige verbliebende Nitrat-Kopie des Films wurde 1995 in Milano gefunden, aus einer Sammlung aus Filmrollen, die gegen Ende des Zweiten Weltkrieges vorübergehend in einem Schuppen eines Bauern lagerten! Neben dieser Kopie diente auch eine Filmrolle des New Yorker Museum of Modern Art als Grundlage, die sie 1936 direkt aus Deutschland bekamen.

Das Bild zu bewerten gestaltet sich als recht schwierig. Schließlich ist der Film bereits über 80 jahre alt und da man mittlerweile weiß, unter welch schlechten Bedingungen Filme über die Jahrzehnte teilweise gelagert wurden, grenzt es schon an ein Wunder wenn solche ein alter Film überhaupt noch in seiner ursprünglichen Form vorliegt. Eine umfassende Restauration und ein damit verbundenes Kinnlade-herunterklappendes Bild wie bei der ebenfalls von Transit veröffentlichten DVD von Fritz Langs Metropolis kann hier leider nicht geboten werden, immerhin ist "Der Golem" auch weitere sieben Jahre älter als Metropolis.

Der Golem - ScreenshotDer Golem - Screenshot

Allgemein kann man dem Bild aber eine sehr gute Schärfe attestieren, sofern das Material es zuließ. Leichte Beschädigungen sind natürlich vorhanden, sind aber auf ein eigentlich schon zu vernachlässigendes Minimum reduziert worden. Der Kontrast hat es allerdings recht schwer bei diesem Film. Gesichter sind manchmal überblendet, dann wiederrum gibt es sehr dunkle Szenen, in denen sich nur in der mittleren Fläche das Geschehen abspielt. Zudem handelt es sich nicht um einen "reinen" schwarz-weiß Film, sondern er wurde bereits damals in einer viragierten, also eingefärbten, Form gezeigt. Die Kompression macht sich trotz der viragierten Fächen in keinerlei Weise durch Blockbildung oder Artefakte negativ bemerkbar. Allerdings sind des öfteren Bewegungsunschärfen zu sehen. Dies kann allerdings auch darauf zurückzuführen sein, dass der Film nicht mit 25 Bildern pro Sekunde abgetastet wurde, sondern nur mit 20 Bildern pro Sekunde. Dies entspricht aber der original Wiedergabe von damals. Frühere Videoversionen zeigte unter Umständen den Film mit den normalen 25 Bildern pro Sekunde, was in einer Reduzierung der Filmlänge um gut eine Viertelstunde mündete und die Bewegungen der Figuren grotesk schnell wirken ließ.

Die Dialogtafeln wurden bis auf wenige Ausnahmen erst während der Restauration eingefügt und wirken daher auffallend modern im Gegensatz zu den paar alten Texttafeln. Je nachdem für welche Sprache man sich beim Start des Menüs entschieden hat, gibt es die Tafeln entweder in deutscher oder englischer Sprache zu lesen. Die Originalmusik von damals konnte nicht mehr rekonstruiert werden. Daher bietet diese DVD eine völlig neue Komposition von Aljoscha Zimmermann & Ensemble, die als Dolby Surround Spur abgelegt wurde. Da es sich um eine neue Aufnahme handelt, klingt die den Film wunderbar unterstützende Musik klar und ohne Beeinträchtigungen aus den Lautsprechern.

Der Golem - ScreenshotDer Golem - Screenshot

Hauptbestandteil und eigentliches wirklich herausragendes Extra ist die ca. 15 Minuten lange Doukmentation "Das Königreich der Geister - Paul Wegeners Der Golem und die expressionistische Tradition". Hier wird neben der Vorstellung der entsprechenden Filme auch einmal eine Definition gegeben, was Expressionismus überhaupt bedeutet. Dabei wird auch kurz auf die Wurzeln in der malerischen Kunst eingegangen, wo diese Stilrichtung zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Danach wird auf die wichtigsten Vertreter dieser wohl einzigartigen Filmart eingegangen: Das Cabinett des Dr. Caligari, Nosferatu, Der Golem, Faust, Das Wachsfigurenkabinett und natürlich Metropolis. Aufgrund der recht kurzen Laufzeit kann das Thema natürlich nicht sehr ausführlich und detailliert behandelt werden. Allerdings bietet es dem bislang vielleicht Expressionistisch-unerfahrenen Zuschauer eine gute Übersicht über die Filme und worin die Faszination zu suchen ist. Ansonsten gibt es nur noch eine Bildergalerie, die nicht mal sehr viele Motive bietet und die Bilder zwar optisch ansprechend, aber doch ein wenig zu klein darstellt. Die Liner Notes im Booklet geben noch kurz weitere Informationen zum Film, der Restauration und zur Musik wieder. Gerade bei einem Film wie diesem hätte mich ein Audiokommentar eines Filmhistorikers doch sehr interessiert.

Autor: Carsten Henkelmann
Film online seit: 28.05.2004

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