Film Daten

Titel:
Westworld
Originaltitel:
Westworld
Land & Jahr:
USA 1973
Laufzeit ca.: ?
85 Min.
Regie:
Michael Crichton
Darsteller:
Yul Brynner
Richard Benjamin
James Brolin
Norman Bartold
Alan Oppenheimer
Victoria Shaw
Dick Van Patten
Linda Gaye Scott
Steve Franken
Michael T. Mikler
Terry Wilson
Majel Barrett
Anne Randall
Julie Marcus
Sharyn Wynters
Weitere Infos:
IMDB  OFDB

Westworld

(Ein Kurzreview von Carsten Henkelmann)

Das neuste Urlaubsparadies ist DELOS, ein Freizeitpark, der den Wilden Westen, das Mittelalter und das alte Römische Reich wiederauferstehen läßt. Die Urlauber lassen sich in eine andere Zeit versetzen und können, wenn sie wollen, dabei sogar den Helden markieren. Dabei kann im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gegangen werden. Sämtliche Statisten der Schauplätze sind menschenähnliche Roboter, Androiden, die man nur an ihren Händen von richtigen Menschen unterscheiden kann.

Peter (Richard Benjamin) und John (James Brolin) reisen in den Wilden Westen. Allerdings ahnt keiner der Urlauber, wie es hinter den Kulissen aussieht. Die zuständigen Wissenschaftler, die alles überwachen und kontrollieren, sehen mit zunehmender Sorge, daß sich die Fehlerquote bei den Androiden mit jedem Tag erhöht. Schon bald verhalten sich die ersten Roboter völlig entgegen ihrer Programmierung. Die Lage beginnt sich zuzuspitzen, als die ersten Gäste verletzt werden...

Das Drehbuch zu diesem Film schrieb Thriller-Autor Michael Crichton, dessen Vorlagen schon genug Stoff für mehr oder weniger gute Filme hergaben. Hier hat er auch gleich selber (das erst Mal) Regie geführt und herausgekommen ist ein nettes Science Fiction Spektakel, daß, mal von der Androiden-Thematik abgesehen, eigentlich schon kein Science Fiction mehr ist. Vielmehr steht hier der Mensch im Kampf gegen ein außer Kontrolle geratenes System im Mittelpunkt. Die Erfinder des Erlebnisparks wollen den Menschen das ultimative Vergnügen bieten, aber das hat auch seine Schattenseiten. Die werden natürlich des Profits wegen ignoriert. Die Androiden dienen nur als Diener des Menschen, sie haben sich deren Willen und Wünschen zu beugen, eine andere Verhaltensweise verbietet ihre Programmierung. Das die unterdrückten Wesen, die solche Empfindungen eigentlich gar nicht haben dürften, plötzlich ihr eigenen Willen entwickeln, ist hingegen nicht neu. Schon in dem Stummfilmklassiker Metropolis schleicht sich bei einem weiblichen Androiden selbstständiges Denken ein.

Yul Brunner als wortkarger und finster dreinblickender Pistolenheld ist natürlich die Idealbesetzung und wirkt richtig gefährlich. Die schauspielerischen Leistungen sind insgesamt ganz okay und Langeweile kommt auch nicht auf, im Gegenteil. Der Film schwankt, immer passend zur Handlung oder Stimmung, zwischen heiter-fröhlich, kühl und bedrohlich düster. Unterhaltung ist somit bestens garantiert. Auf DVD ist der Film bislang leider nur in den USA erschienen.

Autor: Carsten Henkelmann
Film online seit: 07.08.2000

Leser-Kommentare

09.06.2004, 16:25:51 Dennis ( Email schreiben )

Westworld

Hinsichtlich der Genreproblematik scheint Michael Crichtons Westworld ein durchaus paradigmatischer Fall zu sein, handelt es sich doch ganz offensichtlich um einen kruden Mix der verschiedensten Gattungen. Eigentlich explizit als Science-Fiction-Film ausgewiesen, finden sich innerhalb der Narration Westworlds mehr als nur Versatzstücke des Westerns, sowie des Abenteuer- und Historienfilm. Erzählerisch durchaus geschickt arrangiert handelt der Film von einem US-amerikanischen Vergnügungspark namens Delos, dessen Anreiz darin besteht, mittels menschenähnlicher Roboter vergangene Zeitalter zu rekonstruieren und so den Besuchern, bzw. den Kunden das Vergnügen zu ermöglichen, ein Leben als Cowboy, Burgfräulein oder Zeitgenosse der Antike nachzuleben. Genretechnisch macht genau dies die Problematik des Films aus, da sein eigentlicher Science-Fiction-Charakter vor dem Hintergrund der im Wilden Westen spielenden Haupthandlung zusehends zu verblassen scheint. Selbst der Zuschauer droht sich ab und an in der Erzählwelt des Westerns zu verlieren, weil sowohl das Filmbild, als auch die Tonebene zeitweise vollends zum Cowboy-Klamauk mutieren.
Herrlich klischeehaft werden nämlich hier nach und nach alle Stereotype einer 08/15-Westernerzählung abgegrast. Vom gefährlichen Shootout mit dem lokalen Outlaw über die allabendliche Saloonschlägerei bis hin zum ebenfalls grundschematischen Gefängnisausbruch via Dynamit reihen sich die Westernklischees wie an einer Perlenschnur nahtlos aneinander. Bezüglich der auffallenden Absicht den Westernfilm zu imitieren, erscheint auch die Besetzung der Figur des ?Robot Gunslingers? mit Yul Brunner als fraglos genialer Coup, ist Brunners Image doch vor allem durch seine zahlreichen Rollen in Wild-West-Filmen wie ?The maginificent Seven? oder ?Invitation to a Gunfighter? in der Wahrnehmungswelt der Zuschauer fest verankert. Selbst der schauspielerische Gestus der beiden Hauptcharaktere Peter und John passt sich sukzessive der narrativen Umgebung an. So sondert John etwa mit kargem Wortgebrauch und einer ins Sonore verstellten Stimme typische Westernphrasen wie ?Give him an Whiskey, he´s new in town.? ab und Peter rezitiert das im Westernfilm allgegenwärtige ?I think you talk too much!?. Ironischerweise führte Peter selbst bereits im Hovercraft-Vehikel eine Art Diskurs über die durch Stereotype geprägte Sichtweise an, wenn er mutmaßt, dass die Revolver-Holster mit Schnürbändchen wohl die seien, die man im Wilden Westen benutzen müsse, vermutlich deshalb, weil er es im Film so gesehen hat.
Auch in den beiden anderen Delos-Welten ?Medieval Wold? und ?Roman World? setzt sich diese schematische, fast statische Verhandlung der filmischen Klischees ungemindert fort. In ?Medieval World? ist es beispielsweise der wohl genährte Schreibtischhengst, der, in eine Ritterkluft verpfropft den Kampf mit dem Urbild aller mittelalterlichen Schurken, dem Schwarzen Ritter, auf den silbernen Tablett serviert bekommt. Wie im typischen Mantel-Schwert-und-Degen-Film der fünfziger Jahre geht es dabei um die Liebe zum Burgfräulein, den erwähnten Kampf gegen den bösen Ritter und so weiter. ?Roman World? letztendlich wird lediglich hinsichtlich seiner Eigenschaft als Welt der ?tugendlosen Lasterhaftigkeit? genannt, jedoch dazu erst später mehr.
Wenn es rein um die Nettozeit gezeigter Filmhandlung ginge, müsste Westworld, wie der Titel ja auch schon vermuten lässt, wohl als Western klassifiziert werden, aber so einfach ist das ja, wie wir aus dem Text von Schweinitz wissen nicht. Man könnte nun überlegen, inwiefern Westworld zu einem Korpus von ähnlichen Werken zählt, wie es sowohl Schweinitz als auch Altman für den Genrefilm als konstituierende Eigenschaft definieren. Aber auch hier zeigt sich eben durch die radikale Überschneidung der Genrebereiche, dass diese Zuordnung in einen bestimmten Korpus nicht leicht fällt. Am ehesten müsste man Westworld dann aber doch wieder in das Themenfeld des Science-Fiction-Films einrücken, da sich das strukturierende Leitthema, nämlich die sich verselbstständigende Technik, durchaus in einer Vielzahl von Genreproduktionen wiederfindet und bis heute in Filmen wie Terminator oder Matrix fortgeschrieben wird. Filmisch werden die Bezüge zur Science-Fiction etwa durch die Wartungshallen der Roboter, die Wartungsarbeiten an sich oder auch durch die futuristische Anreise zum Ressort verbildlicht. Das filmbildlich immer wieder beschworene Bild des mechanischen Wesens der Androiden, das uns bis in deren metallene Innereien führt und das kolossale technische Steuerungswerk der Wissenschaftler unterstützen diese Wirkung zusätzlich.
Meiner Meinung nach handelt es sich aber trotzdem bei Westworld um ein bewusstest Aufbrechen der Genrekonventionen und somit auch der Genrezugehörigkeit, was natürlich in erster Linie durch den Inhalt der Erzählung bedingt ist. Was sich durch die Reise zweier Männer aus einer nicht allzu fernen Zukunft in ein von Robotern bevölkertes Urlaubsressort bereits grundlegend andeutete, wird letztendlich durch Peters Flucht vor dem Gunslinger, die ihn durch mehrere Zeitalter führt, auf die Spitze getrieben. Es ist mit Sicherheit auch ein filmischer Diskurs über fixierte Sehgewohnheiten und vorgeprägter Erwartungshorizonte, wenn der Film uns völlig unerwartet einen Mann in Westernmontur präsentiert, der durch den Thronsaal eines mittelalterlichen Schlosses hechtet, nachdem er bereits durch die Kanalisation einer antiken Stadt in den Hades einer hochtechnisierten Welt der Zukunft abgestiegen war. Freilich bleibt dem Zuschauer letztendlich immer der Hintergedanke und das vordergründige Wissen, sich in einer futuristischen Fantasiewelt zu befinden, was immerhin regelmäßig durch verhältnismäßig kurze Einschübe von Szenen der Wissenschaftler in Erinnerung gerufen wird.
Sehr deutlich werden aber wiederum die zwei markantesten Genres, der Western- und der Science-Fiction-Film, zusammengeführt, wenn etwa in der Peters Sex-Szene mit dem Roboter die Tonebene vom Wild-West-Thema auf ein sehr Futuristisches wechselt oder aber, wenn nachts die zerstörten Roboter in einem blauen, technisierten Licht von Ingenieuren mit schwerem Gerät weggeräumt werden. Die Frage nach einem reinrassigen Science-Fiction-Film ließe sich demnach noch immer sehr gut diskutieren, da der Film ja besonders durch das beschriebene Abschreiten der Western-Konventionen eben auch einem solchen Korpus zuschreibbar wäre. Man könnte folglich überlegen, ob es sich nicht um eine futuristische Westernvariante in der Zukunft handelt, wie sie etwa auch ansatzweise in Star Wars Verwendung findet.
Vielleicht lohnt es sich, den Blick von der Hauptlinie der Narration abzuwenden und einen Nebenstrang mit der wohl auffälligsten filmischen Verfahrensweise Westworlds abzugleichen. Hierbei handelt es sich augenscheinlich um die kontrastreiche Gegenüberstellung von Mensch und Maschine. Vom Schöpfer und seiner im ebenbildlichen Kreatur. Einerseits gibt es natürlich das Symbol des Spiegelbildes. In der auf dem Seziertisch aufgebahrten Figur, deren Innereien aus Drähten und Relais bestehen und deren Gesichter auf- und weggeklappt werden können, finden wir die wahrscheinlich deutlichste Gegenüberstellung des Menschen mit der Technik. In der Antike angefangen könnte man bei der Geschichte des Hephaistos über Rabbi Lews berühmten Golem bis hin zu Hoffmanns nicht minder berühmten Automatenmenschen eine Reihung eröffnen, die mit der Urangst des Menschen vor seinen künstlichen Kreationen spielt und die in den mechanischen Menschen Westworlds eine weitere Fortschreibung erfährt. Ein zusätzliches ?Superzeichen? für dieses Themenfeld ist sicherlich der nicht besonders subtile Umstand, dass die Delos-Wissenschaftler durch ihre eigene Technologiegläubigkeit zu Tode kommen, da sich die Türen des Kontrollzentrums nicht mehr öffnen lassen und so die Atemluft zur Neige geht. Dass in einem späteren Bild die toten Wissenschaftler auf ihren Pulten liegen, während im Hintergrund die Magnetspulen weiterrattern und die Oszilosgraphen fröhlich vor sich hinflackern ist auch eher eine Art Brachialsymbolik, die uns verdeutlichen soll, dass die Technik nun mal nicht den selben physikalischen Gesetzen und der selben Ethik unterliegen wie wir. Im Robot-Gunslinger mit seinen übernatürlichen Sinnen und dem stets ungebrochenen Willen seine Aufgabe zu erfüllen findet dies in meinen Augen eine Dopplung.
Man kann also durchaus von einer technologischen Endzeitvision sprechen, wenn man die Geschehnisse in Westworld als eine sich verselbstständigende Maschinenwelt versteht. Nicht zuletzt der Hinweis von einem der Wissenschaftler, dass einige der Maschinen wiederum von Maschinen konzipiert und gebaut wurden, man also nicht genau wisse wie sie funktionieren, gewährt einen Ausblick auf das Maß der Abhängigkeit von der Technologie und auf das unbekümmerte Vertrauen in sie. Der etwas überstrapazierte Terminus des Homo Technicus, also des Menschen, der sich die Technologie dienstbar und nutzbar macht ist hier absolut passend. Augenscheinlich ist dies wohl ein großer Schritt dahingehend, den Film als Science-Fiction zu klassifizieren.
Aber lassen Sie uns die Frage diskutieren, zu welchem Zweck diese Nutzbarmachung der Technologie vonstatten geht und ob nicht eben hier ein Aspekt des Filmes liegt, der ihn weg vom puren technologischen Science-Fiction-Film hin zur Gesellschaftsanalyse bewegt und somit die fließenden Übergänge der Genreinhalte auch auf der interpretativen Ebene deutlich werden lässt. Es handelt sich bei Westwold nämlich nicht nur um eine technologische Endzeitvision, die erzählt, wie der Mensch von seiner eigenen Kreation überrannt wird, sondern der Film erzählt eine Geschichte, in der spiegelbildliche Abbilder des Menschen für dessen triebhafte und unmoralische Befriedigung herhalten müssen. Die Maschinen erfüllen also keinen produktiven Zweck, sondern dienen lediglich einem individuellen Lustgewinn.
Ws ist das also für eine Gesellschaft, die uns Westworld vorführt? Welche Gesellschaften führt der Science-Fiction-Film generell vor? Die Welt von Star-Trek zum Beispiel beschreibt ein humanistisches Ideal, während Truffauts 1984 oder Der Planet der Affen einen gesellschaftlich-sozialen Albtraum widerspiegeln. Westworld inszeniert für uns in erster Linie das Bild einer nicht näher definierten Spaßgesellschaft, die auf Vergnügen und Erholung aus ist und unserer eigenen Gesellschaftsstruktur in weiten Teilen zu entsprechen scheint. Die Menschen in der von Westworld beschriebenen und betriebenen Zukunft suchen die Zerstreuung im Spiel und je realistischer dieses ist, um so besser. Schon zu Beginn des Films bekundet einer der Gäste dass Delos genauso real sei wie alles andere und ein weiterer Kunde gibt gar zu Protokoll, dass Westworld das Realste sei, was er jemals erlebt habe. Eine zentrale Frage sollte hierbei aber sein, ob es sich überhaupt um ein Spiel handelt. Einer der grundlegendsten konstituierenden Aspekte für ein Spiel ist das Vorhandensein von Regeln, doch schon in den ersten Minuten der Filmhandlung erfahren wir, dass es sich bei Delos um ein ?Game with no rules? handelt. Generell ist es auffällig, wie reduziert der Spielcharakter des Geschehens (auch filmisch) offenbar wird. Die Roboter ähneln bis auf die Handinnenflächen dem Menschen bis hin zur Spiegelbildlichkeit und selbst die Wartung der Roboter läuft so weit im Versteckten ab, dass sie von den Besuchern nicht wahrgenommen werden kann. Hier gibt es erneut eine Dopplung bzw. einen Diskurs, wenn nämlich die Parallelen zwischen dem Sich-auf-das-Spiel-Einlassen der Filmcharaktere und unserem eigenen Sich-Einlassen auf die Erzählwelt des Films augenfällig werden. Ebenso wie sich Peter von John überzeugen lässt, völlig frei und ohne Bedenken zu handeln, um damit in der imaginären Westernwelt mit all ihren Konventionen aufzugehen, lassen wir uns von der Stilistik des Films vereinnahmen und vergessen vielleicht ab und an, dass wir uns nicht in einem Western, sondern in einem Science-Fictionfilm befinden. Aber fernab dieses Aspektes hat das Zurückfahren der spielerischen Eigenschaften der Delos-Welt einen ganz anderen Hintergrund, eine ganz andere Auswirkung. Es geht nämlich eigentlich gar nicht darum ein Spiel real erscheinen zu lassen, sondern mit der Realität an sich zu spielen. Oft genug wird betont, dass der Reiz von Delos darin liege, eben nicht zu wissen, ob man einen Menschen oder einen Roboter vor sich hat und selbst wenn man einen Roboter vor sich hat, dies nicht bewusst zu registrieren. In den anfänglichen Gewissensbissen Peters beim Erschießen des Gunslingers offenbart sich diese Tendenz der gewissenlosen Abstraktion sehr deutlich. Es geht also in erster Linie darum die Realität zu simulieren und vom Spiel ausgehend soweit zu abstrahieren, bis es letztendlich Realität wird. Aber hier nochmals die Frage: Welche Art von Gesellschaft präsentiert uns der Film und wie verhält sich diese Verfahrensweise zu unserem Leitthema der Endzeitvision.
Betrachtet man alle Aspekte des Spiels und bedenkt man, das es an sich keine Regeln hat, so fällt auf, dass Westworld nicht etwa die futuristischen Errungenschaften einer Zukunftsgesellschaft am Beispiel eines hypermodernen Freizeitparks aufzeigt, sondern eher einen anachronistischen Eindruck vermittelt. Sicher, die latente Bedrohung durch die entfesselte Technik ist ein ganz zentraler Aspekt des Films, aber die soziale Regression der Gesellschaft erscheint mir weitaus wichtiger zu sein und dies ist wiederum der Moment, in dem sich der Film vielleicht von den Kriterien eines Science-Fiction-Films entfernt und eine gewisse Allgemeingültigkeit erlangt, die an kein bestimmtes Genre gebunden sein muss. Das sich diese Tendenz wie ein roter Faden durch den Film zieht möchte ich nun belegen.
Erlebnishungrige Menschen partizipieren an einem Spiel ohne Grenzen, ohne Regeln und vor allem ohne Konsequenzen. Worum geht es den Menschen hier, wenn sie die Welt des Spiel betreten. Es ist nicht der Sinn nach Erholung, sondern ihr Streben wird von den rudimentärsten Bedürfnissen des Menschseins gelenkt, frei nach der vom Spiel vorformulierten Devise ?machines are the servants of men?. John und Peter erfahren die Lust am Töten und durchleben pistolenschwingend ihre Allmachtsphantasien ebenso wie es der kleine, hornbebrillte Spießer tut, der sich in der Westernstadt selbst zum Sheriff ernennt. In Medieval World frönt der alt gewordene Schreibtischhengst mit schütterem Haar seinem offenkundigen Verlangen nach gesellschaftlicher Anerkennung im Sinne eines ebenso alten wie gesellschaftlich überkommenen aristokratischer Ständesystems. Vor allem aber frönt er auch seinem Verlangen nach Polygamie und genießt die simulierte Attraktivität, die er auf junge (Roboter-) Mädchen ausstrahlt. Genauso wie John und Peter, gegen Gegner mit manipulierten Waffen antreten, kämpft der Freizeitritter gegen einen Widersacher, dessen Fähigkeiten im Vorfeld des Kampfes entsprechend zurechtgestutzt werden. Es handelt sich hierbei also um eine sehr effiziente Maschinerie der gefahrlosen Selbstbefriedigung, die auf der Illusion basiert real zu sein. Roman World letztendlich ist vielleicht der Inbegriff der sozialen Regression, versinnbildlicht sie doch einzig eine Stätte der sinnlichen Befriedigung und konstituiert sich einzig durch den dionysisch ungezügelten Genuss am Sex, Essen und Alkohol. Nicht umsonst wird die simulierte Antike von den Betreibern als Ebenbild von Pompeji mit einer ?relaxed Morlaity? beworben, wobei letztgenannter Begriff verglichen mit den Bildern an sich schon ein Affront gegen die Ethik ist. Zügellosigkeit und Lust versinnbildlichen hier den Verfall der Gesellschaft auf eine Ebene der rudimentärsten Triebhaftigkeit, wie sie innerhalb des Spiels zelebriert wird. Moral, Anstand, Humanität und Verantwortungsbewusstsein verlieren sich gegenüber dem Verlangen nach sexueller und physischer Macht, was sich im regen Gebrauch von jedweder Gewalt gegenüber den Roboterwesen niederschlägt. Ironischerweise wird erst in der Fehlfunktion eines der Robotermädchen in Medieval World die moralische Dekadenz der Spaßgesellschaft sichtbar, wenn sich diese sich nämlich mittels Backpfeife gegen die sexuelle Unterwerfung durch den Gast wehrt. Aber auch in Roman World findet sich ein interpretatorisches Superzeichen, wenn die Kamera die trostlos im Wasser liegenden Humanistenbüste einfängt und somit in einem Bild den Niedergang einer zivilisierten Sittenhaftigkeit dokumentiert. Vielleicht ist sogar die Nachbildung von Pompeji selbst ein solches Superzeichen, stellt diese antike Stadt doch einen prototypischen Sündepfuhl dar, dessen Gesellschaft wegen ihrer moralischen Verfehlungen durch einen Handstreich Gottes von der Feuersbrunst des Vesuv fortgefegt wurde. Der Vergleich zu Sodom und Gomorra ist hier ebenso greifbar nahe, wie er sich hinsichtlich von Delos verorten ließe. Betrachtet man die ebenso perfide wie perverse Spielwelt von Delos als Parabel zu dem gesellschaftlichen Verfall, wie er sich in Pompeji oder Sodom und Gomorra abzeichnete, dass wird zum Beispiel auch das bildliche Symbol der Schlange, die John in der Wüste beißt, deutlich umgewertet. Dieses ließe sich dann nicht nur als eine weitere Ausprägung der sich verselbstständigenden Technik verstehen, die ihre Erschaffer bedroht, sondern auch als christliches Symbol für die immer währende und allgegenwärtige diabolischen Verlockung zu Untugend. Besagte Untugend ist es vor allem, die sich in Westworld, sei es durch Mord und Totschlag, Vergewaltigung, Vielweiberei, Völlerei und Trunkensucht, Zügel- und Maßlosigkeit immer wieder ungefiltert offenbart.
Erzählt Westworld also die Geschichte einer Gesellschaft, die sich technisch ein Zeitalter vor uns und moralisch etliche hinter uns bewegt? Zeigt er die logische Konsequenz einer Welt, deren soziales und ökonomisches Regelwerk, deren omnipräsentes Überich dem Menschen quasi ein Korsett aufzwingt, das die freudianische Triebabfuhr nur noch in reglementierter, hier also in virtueller Form zulässt? An diesem Punkt angelangt stellt sich in gewisser Weise auch die Frage nach der Natur des Menschen. Verläuft der technische Fortschritt, den die Zivilisation in Westworld erfahren hat im Einklang mit ihrer moralische Regression? Prinzipiell erzählt uns das Westworld schon, jedoch lässt sich dies auch als überspitze Parabel auf unsere eigene Zeit und unsere eigene Gesellschaft lesen. Besonders der Medien- und Unterhaltungsdiskurs, der von Westworld eröffnet wird, scheint doch eine Entwicklung unserer Gesellschaft zu benennen. Die allgegenwärtige Sucht nach Anerkennung, individueller Macht und auch erholsamer Zerstreuung im Spiel, das Verlangen nach Triebbefriedigung also ist auch in unserer ein Thema. Besonders in den Aspekten der Dopplung, wenn die Verfahrensweisen des Films auf die Welt des Betrachter übergreifen scheint eine derartige Lesart nachvollziehbar zu werden. Virtuelle Trugbilder bzw. virtuelle Welten vereinnahmen den Delos-Besucher genauso wie den Westwold-Zuschauer. Man muss sich hier fragen, ob das Wohlgefallen der Protagonisten beim Töten der Roboter sich nicht in unserem Wohlgefallen bei Beobachten dessen spiegelt., denn auch wir als Zuschauer lassen uns auf den Film ein, schließen die Realität für 90 Minuten aus, erfreuen uns an den spektakulär inszenierten Schusswechselszenen und lachen mit bei der slapstickartig umgesetzten Kneipenschlägerei. Das perfide daran ist ja, dass auch bei uns die Qualität des Filmgenusses quasi proportional zu ihrem Realitätsgrad ansteigt. D.h., je realistischer die Bedrohungssituation für die Protagonisten wird und je expliziter die angewendete Gewalt wird, umso mehr Lust erfährt der Zuschauer. Denkt man diesen Aspekt weiter, gelangt man letztenendes zu der Einsicht, dass auch wir den Lustgewinn durch die Identifizierung mit der fiktiven Figur erfahren, ohne dabei selbst in Gefahr zu geraten. Diese Einsicht, die in der Filmhandlung bereits auf die Protagonisten gespiegelt ist und mittels der filmischen Verfahrensweisen auf uns Zuschauer übergreift kommentiert diesen Umgang mit medialen Realitäten doch bereits sehr kritisch. Um noch eine Fortschreibung anzuschließen ließe sich Überlegen, inwiefern mediale Auswüchse wie die immer realistischer werdenden Ego-Shooter im Computer, die bizarren auswüchse der virtuellen Erotik oder die quasimilitanten Freizeitspielchen mit Luftdruckwaffen hier einen zwischenzeitlichen Stand der Entwicklung markieren.
Als Fazit lassen sich also zwei Themenkomplexe festmachen, die auf unsere Betrachtungsweise hinsichtlich eines möglichen Endzeitszenarios werten lassen. Einerseits gibt es aus dem Genrebereich des Science-Fiction stammend den eher traditionellen Erzählstrang der sich verselbstständigenden und übermächtige werdenden Technik, die vom Menschen selbst geschaffen wurde. Hierbei handelt es sich in erster Linie zwar um ein ?lokales Problem? innerhalb der lasterhaften Delos-Welt, allerdings wird durch den erklärenden Zusatz der Wissenschafter, dass es sich bei den Ausfallerscheinungen der Robotwesen um eine Art grassierende Seuche handelt die Vermutung nahe gelegt, dass diese Seuche sich auch über die Grenzen Delos´ hinweg ausbreiten könnte. Zudem spricht auch die Tatsache, dass man die Konzeption der Maschinen wiederum in die Hand von Maschinen gelegt hat dafür, dass sich die Menschheit einem bedeutsamen Kontroll- und Machtverlust gegenübersieht. Hier also sehr deutlich der Bezug zum Urbild des unkontrollierbar werdenden Geschöpfes.
Auf der anderen Seite gibt es den gesellschaftskritischen Strang, der von einem kritischen Moral- und Tugendverlust erzählt und die Ursache für diesen vielleicht in der Natur des Menschen selbst verortet. Nicht ausgelebte Triebe und eine reglementierte Gesellschaft scheinen hier die urtümlichsten Bedürfnisse des Menschen zu Tage zu fördern und so der Gewalttätigkeit und dem Machtstreben freien Lauf zu lassen. Damit einhergehend aber auch durchaus getrennt zu bewerten wäre dann die Komponente des Umgangs mit der medialen Wirklichkeit, bzw. mit dem virtuellen Spiel. Die Abstraktion des Spiels hin zur Realität wird meiner Meinung nach in Westworld als gefährliches Modell der Befriedigung real existierender Triebe gewertet, dass sich bis in unsere eigene Gesellschaft nachverfolgen lässt.

Um abschließend nochmals auf die Frage nach der Genrezugehörigkeit zu sprechen zu kommen: Ich denke Westworld ist ein Science-Fiction Film, der sich das Überschreiten der Genregrenzen zu Nutze macht, um seine allgemeingültigen gesellschaftskritischen Aspekte auf die Sphäre des Zuschauers auszudehnen.

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