Am 19. Oktober des Jahres 2002 fand in Gelsenkirchen ein ganz besonderes Ereignis statt. In den heiligen Hallen des Filmclubs BUIO OMEGA sollte sich an diesem Tag niemand geringerer als die spanische Horrorfilmlegende PAUL NASCHY dort einfinden. Ein Grund für mich, auch endlich mal die 260 Kilometer hin und zurück in Angriff zu nehmen und den Jungs dort mal einen Besuch abzustatten. Da konnte mir dann auch die Diplomarbeit einmal egal sein. Okay, noch meinen Kumpel Markus eingepackt (ohne den ich wahrscheinlich nie die grandiosen Werke des Exploitationskinos kennengelernt hätte) und los. Nach anderthalb Stunden und etwas hin- und herzuppelei durch Gelsenkirchen fanden wir dann endlich den Schauburg Filmpalast. Von außen machte der Palast eher den Eindruck eines ganz alten und kleinen Kinos, was sich aber dann beim Eintritt ins Gebäude als fürchterlicher Trugschluß entpuppte. Hinter der Fassade ist das ganz schön groß. Gemäß den Konventionen des Filmclubs mußte man sich natürlich erstmal als Kenner des Exploitationkinos hervorheben und einen gar fiesen Fragebogen ausfüllen, der von uns mit Leichtigkeit ausgefüllt wurde. Die Lösungen werden hier natürlich nicht verraten!
Danach wurde dann erstmal ein wenig mit Club-Mitglied Sailor Ripley geschnackt, der mir schon durch etliche Emails bekannt war und in Natura ebenso sympathisch rüberkam. Der gute Junge trieb uns allerdings den grünen Neid ins Gesicht, als er erzählte, dass er als kleiner Junge in den Gelsenkirchener Kinos schon Kracher wie Godzilla und Zombies unter Kannibalen in den Jugendvorstellungen (!!!) gesehen hat. Christian "Splatting Image" Kessler lernte ich auch endlich mal in Person kennen und dann ging es auch schon los.
Die Zuschauerschar (grob geschätzt: 150 Leute) strömte in den großen Filmsaal und suchte sich seine Plätze. Nach einer Ankündigung von Sailor Ripley kam dann der Meister persönlich auf die Bühne: PAUL NASCHY!
Die nächsten 5 Minuten gabs erstmal nur Standing Ovations um den Meister einen würdigen Empfang zu liefern. Nachdem sich die enthusiastische Meute beruhigt hatte, wollte Sailor wohl den Tag mit ein paar kurzen Fragen an Paul über den gleich folgenden Film einleiten, wobei ihm dieser allerdings einen Strich durch die Rechnung machte. Denn Paul Naschy (der zu diesem Event auch seine Familie mitbrachte) plauderte gleich fröhlich aus dem Nähkästchen ohne irgendwelche Stichworte zugeschmissen zu bekommen. Es ging dabei um den Film La Marca del Hombre Lobo aus dem Jahre 1968, zu deutsch Die Vampire des Dr. Dracula, der erste richtige spanische Horrorfilm, der zum Teil mit deutschen Geldern finanziert wurde. Und ich kann euch sagen: der Film ist der Hammer! Das ist einer dieser Filme, weswegen man als kleiner Junge früher immer heimlich abgewartet hat bis die Eltern im Bett waren, um dann endlich den Fernseher anmachen und die Klassiker aus den Universal oder Hammer Studios sehen zu können. In bunten Technicolor Farben wird die Geschichte eines Fluches der Familie Wolfstein erzählt, deren altes Herrenhaus nach Jahren immer noch leer steht und von der allgemeinen Bevölkerung gemieden wird. Ein unvorsichtiges Zigeunerpärchen begeht Grabraub und pflückt aus dem Körper einer noch gut erhaltenen Leiche ein großes silbernes Kreuz. Zu dumm nur, dass sie damit den Werwolf in dem Manne wieder erwecken, der sich sofort ein Zigeunerfrühstück gönnt. Der Mord wird entdeckt und es werden zunächst richtige Wölfe dahinter vermutet. Nicht so bei Waldemar Daninsky, ein Pole der in dem Ort lebt. Er vermutet mehr dahinter und bekommt auch Recht. Bei der Wolfjagd wird er allerdings von dem Werwolf verletzt und der Fluch des Werwolfs überträgt sich auf ihn. Rudolph, dem er das Leben gerettet hat, und seine Herzensdame, die hübsche Komtessa Janice, wollen ihm helfen und bitten zwei Personen um Hilfe, die sich aber im weiteren Verlauf nicht als Samariter, sondern als was ganz anderes entpuppen...
Der Film ist zwar aus heutiger Sicht etwas angestaubt, hat aber einen unglaublichen Charme den nur ganz wenige Filme besitzen. Die Synchronisation sorgte für einige Lacher (meine Lieblingszeile: "Ich ahne böses. Wir müssen den Oberförster verständigen!") und Paul Naschys erste furiose Werwolfattacke sorgte für spontanen Szenenapplaus.
Danach gab es eine kurze Pause, bis dann das Interview mit Meister Naschy, geführt vom Filmgelehrten Christian Kessler, begann. In einer guten Stunde erzählte Paul Naschy im etwas gebrochenen, aber trotzdem gut verständlichen Deutsch sehr viel über seine Einflüsse, die Probleme mit der Zensur während des Franco-Regimes und seiner Arbeit in Japan, sowie aktuelle Produktionen. Dabei konnte Herr Naschy Christian Kessler noch mit einigen Details überraschen, die selbst ihm unbekannt waren. Dieses hochinteressante Gespräch wurde mit der Überreichung des "Joe" (einer Auszeichnung des Clubs für Exploitationstars), sowie einem Gemälde, das an diesem Tag erinnern sollte, abgeschlossen. Paul Naschy, der einen ruhigen, aber stets sympathischen Eindruck machte und völlig frei von irgendwelchen Starallüren ist, fühlte sich sichtlich geehrt und das Publikum würdigte ihm mit minutenlangem Applaus. Nach einer Autogrammstunde ging es dann mit dem zweiten Film El Jorobado de la Morgue / Die Stunde der grausamen Leichen von 1973 weiter.
Hier spielt Naschy den Buckligen Gotho, der von allen nur gehänselt wird und in der Stadt recht unbeliebt ist. Er arbeitet im örtlichen Krankenhaus in der Leichenkammer und verliebt sich in die sterbenskranke Ilsa. Als sie stirbt, zu ihm im Keller gebracht wird und zwei seiner Kollegen sie vor seinen Augen ihres Schmuckes berauben, rastet er aus und tötet die beiden. Ilsa Leiche nimmt er mit sich und bewahrt sie in einer verlassenen Gruft auf. Er wendet sich in seiner Not an seinen Vorgesetzten, einen Arzt der Frankenstein-ähnliche Experimente mit menschlichen Organen durchführt und sie heimlich fortführen muss. Da kommt ihm Gotho und die Gruft gerade recht. Er läßt Gotho für seine Versuche eine Leiche nach der anderen bringen und schafft es sogar eine gar schauderhafte Kreatur zu erschaffen. Bis irgendwann Gotho nicht mehr mitmachen will, als auch die hübsche Ärztin Elke geopfert werden soll, eine der wenigen Personen die ihn mochte. Die Geschichte endet tragisch... Abschließend wurde Paul Naschy noch offiziell vom Club und von den Zuschauern verabschiedet und ihm noch eine Torte mit Werwolfmotiv überreicht. So fand das offizielle Programm nach 6 Stunden sein Ende.
Mein Eindruck des mittlerweile 68-jährigen Paul Naschys ist der eines weit herumgekommenen Mannes, der schon vieles erlebt hat und sich dabei aber seinen eigenen Charme bewahrte. Er wuchs in einem unruhigen Spanien auf, das unter den Folgen eines Bürgerkrieges zu leiden hatte, kämpfte gegen die Zensur in Spanien und ist im Laufe der Zeit sogar bis nach Japan gekommen, wo er selbst dort einen Film mit seinem Werwolf-Charakter Waldemear Daninsky drehte und dafür Anerkennung bei Großmeistern wie Akira Kurosawa erlangte, der ihm zu dem Film gratulieren ließ. Durch seine ruhige Art kommt er sehr angenehm rüber und hat der Nachwelt bestimmt noch so einiges zu erzählen.
An dieser Stelle ein ganz dickes Lob an die Jungs vom BUIO OMEGA: Was ihr da auf die Beine gestellt habt ist einfach unglaublich! Wer trauert nicht darüber, dass man die heißgeliebten Klassiker aus den 60er und 70er Jahren nicht mehr auf großen Kinoleinwändern bewundern kann? Die Jungs machen es möglich und bringen das Flair dieser Zeit für ein paar Stunden zurück. Und vor allem ist es ein Höllenunterschied, ob man sich alleine oder vielleicht mit 2-3 Freunden einen Film wie Vampire des Dr. Dracula anschaut, oder ob man mit 150 Fans im Kino sitzt, die alle diese Art von Filmen auch wirklich zu würdigen wissen und nicht mit idiotischen Kommentaren einem auf die Nerven fallen. Selbst wenn der Film einige lächerliche Szenen hat und das Publikum auch entsprechend loslacht - hier passiert es im absoluten Respekt vor dem Film! Überhaupt ist auch die familiäre Stimmung dort erstaunlich. Jeder scheint da jeden zu kennen, man fachsimpelt über Filme oder unterhält sich einfach so locker drauf los. Auch wenn ich außer dem Sailor und Christian Kessler niemanden kannte fühlte ich mich doch sauwohl dort.
Ich kann nur zusammenfassend sagen, dass dieser Tag ab jetzt zu den schönsten Kinoerlebnissen überhaupt in meinem Leben zählt. Mit einem Mischmasch aus Euphorie, Ehrfurcht vor dem spanischen Meister und absoluten nicht-verarbeiten-könnens der an diesem Tag auf mich eingeprasselten Eindrücke ging es mit einem warmen Gefühl ums Herz wieder Richtung Heimat. Ich danke dem Filmclub für einen ganz einzigartigen Tag! Und euch liebe Leser kann ich nur empfehlen, nein, BEFEHLEN dem geheimnisvollen Filmclub BUIO OMEGA die Türen einzurennen, die Jungs in ihrer Sache zu unterstützen und an den Werken des Exploitationkinos vergangener Tage teilzuhaben. Die haben es echt verdient, auch wenn eine Größe wie Paul Naschy natürlich nicht jedesmal dort sein kann. Aber das normale Programm ist auch so schon geil und ich bin mir mit meinem Kumpel auch einig, dass wir uns garantiert noch einige Male mehr auf den Weg nach Gelsenkirchen machen werden!
Grandios, grandios, grandios...
Autor: Carsten Henkelmann
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